Die letzten Zeugen - Das Buc

JOSEF CARMIEL


 
 

JOSEF CARMIEL

(früher Weinberger)
geb. 1927-02-10
lebt heute in Israel

Ermordete Verwandte


Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.

Josef Carmiel ist im Projekt »38/08«  SchülerInnen der HS Rankweil-Ost mit Lehrer Benjamin Koeck begegnet.

Josef Carmiel wird 1927 als Kurt Weinberger in Graz geboren. Weil die Stadt »judenrein« sein sollte, muss die Familie nach Wien übersiedeln. Als 12-Jähriger kann Josef Carmiel nach Haifa in Palästina entkommen. Der Vater wird 1941 von Wehrmachts-Soldaten erschossen, die Mutter 1942 vergast. Ein großer Teil der Verwandten wird ermordet. Josef Carmiel gründet eine Familie in Israel, wo er seit 1939 lebt.

"Die Mörder stammten aus Österreich"

Josef Carmiel erzählt in einem Brief an eine Schülerin, wie er ohne Eltern entkam und viele seiner Familienmitglieder ermordet wurden.

Anfang 1938 war ich Schüler der ersten Klasse in einem Grazer Realgymnasium, hieß Kurt Weinberger, und war der Sohn eines Österreichischen Bürgers und Frontkämpfers im 1. Weltkrieg. Dann kam der »Anschluss Österreichs« an Nazi-Deutschland. Meine Welt und die der 200.000 jüdischen Einwohner des Landes brach zusammen. Die Verfolgung der Juden begann sofort. Bald wurde ich wie alle jüdischen Schüler vom öffentlichen Gymnasium entfernt. Das Geschäft meines Vaters wurde liquidiert, das heißt zum Verschwinden gebracht. Mein Onkel und viele Bekannte wurden ins KZ gebracht.

Bis Ende 1938 musste meine Familie Graz verlassen, da die dortigen Nazis bis dahin ihre »Stadt der Volkserhebung« »judenrein« haben wollten. So kamen wir nach Wien, die erste Station am Weg der Auswanderung.

Die Juden wurden angewiesen, das Land, in dem sie seit Generationen ihre Heimat sahen, so bald als möglich zu verlassen. Die Nazi-Behörden nahmen ihnen alle Rechte und auch ein Großteil der Bevölkerung tat alles, ihnen den Aufenthalt unerträglich zu machen. Schlimmer noch war der Gedanke, was in so einem Unrecht-Staat noch auf sie wartete.

Leider waren die Möglichkeiten, in anderen Ländern aufgenommen zu werden, sehr begrenzt. Speziell die Einreise nach Palästina (dem heutigen Israel) wurde von den Engländern, die damals dort herrschten, stark eingeschränkt.

Ende 1939, schon nach dem Kriegsausbruch, habe ich zum Glück die Einreisebewilligung dorthin bekommen. Meine lieben Verwandten in Haifa hatten sich bereit erklärt, mich, den 12-Jährigen, bei sich daheim aufzunehmen. Dies galt aber nur für mich, die Eltern konnten nicht mitkommen. Da gab es viele Tränen beim Abschied. Wir hofften, uns bald wieder zu vereinigen.

Doch leider kam es anders.

1936, zwei Jahre vor der Nazi-Zeit, hatten wir ein Familientreffen bei uns daheim. Da standen die Eltern und all die Verwandten am Balkon vor unserer Wohnung. Die Eltern und vier der auf diesem Foto abgebildeten sowie viele andere meiner Verwandten sind im Laufe des Krieges von den Nazis ermordet worden.

Erst viele Jahre nach Ende des Krieges erfuhr ich, dass mein Vater 1941 in Jugoslawien von Soldaten der Wehrmacht erschossen wurde und meine geliebte Mama 1942 den grausamen Tod durch Gas erlitt.

Bei beiden stammten die Vollstrecker des Mordes nachweisbar aus Österreich. Der Verlust der Eltern war mir der schwerste Schlag im Leben.

Seit 1940 lebe ich in Haifa und bin ein Israeli. Ich lernte rasch die hebräische Sprache (als Kind in Graz kannte ich bloß ein paar Worte), doch bald wurde mir die Sprache so geläufig wie früher Deutsch, meine Kinder können bis heute kein Deutsch. Der Kurt wurde zum Josef, und der Weinberger wurde zum Carmiel. Das bedeutet das Gleiche, klingt aber schön biblisch.

Die ersten Jahre waren schwer, die Familie hatte kein Geld, mich in die Mittelschule zu schicken, und so kam ich mit 14 in die Tischlerei-Lehre.

Später machte ich das Industrietechniker-Diplom und arbeitete viele Jahre in einer Gusseisenfabrik.

All diese Jahre dachte ich oft in Freud und Leid an Graz.

Doch das war kein Heimweh, sondern Erinnerung an die glücklichen Tage, in denen wir mit den Eltern in dieser wunderschönen Stadt lebten.

Hier bei uns in Israel ist in all diesen Jahren eine Menge geschehen. Wir haben uns den selbstständigen jüdischen Staat 1948 erkämpft. Seither hat es noch viele Kriege gegeben, bei einigen davon war ich dabei. Unser Land, die einzige wahre Demokratie inmitten so vieler mehr oder weniger feindlicher Länder muss ständig bereit sein, sich gegen Angriff und Terror zu verteidigen.

Im Jahre 1954 hatte ich die Gelegenheit, zwei Wochen lang Österreich zu besuchen. In Graz fand ich viel Zerstörung und einen Schulfreund, der dorthin zurückgekehrt war.

Die Stadt, die mir als Kind die ganze Welt war, fand ich nach dem Krieg – als Erwachsener, so klein und schäbig. Bloß die schönen grünen Parks der Stadt erwärmten mir das Herz.

1962 heiratete ich, dann kamen meine lieben zwei Töchter. Erst die Miri (Mirjam, also Marie), zwei Jahre später die Miki (Michaela).

1977 besuchte ich Graz mit der Familie. Die Mädels waren damals etwa in deinem Alter. Ich wollte ihnen zeigen, woher der Papa stammt. Beide Töchter machten mir viel Freude, sie waren gute Schülerinnen, studierten an der Uni und heirateten dann ihre Boyfriends von der Mittelschule – jetzt haben sie je zwei Kinder.

Meine älteste Enkelin, Sarit, ist gerade so alt wie du. Ihre Mama (die Miri) ist Architektin und ihre Tante (die Miki) ist Ärztin im städtischen Krankenhaus in Tel-Aviv.

Ich bin schon viele Jahre im Ruhestand, arbeite gern in meiner Hobby-Tischlerei und am PC. In diesen Jahren bin ich viel in der Welt herumgereist und war auch sechs mal in Österreich.

Ich besuche in Wien jedes Mal meinen lieben Cousin Fritz. Ich fühle mich da in eurem Land recht wohl, es ist ja alles so wunderschön gepflegt und mit der Sprache komm ich so gut herum (besser als mit dem Englisch anderswo). Doch oft kommen mir dann traurige Erinnerungen und wieder fühle ich mich fremd und freue mich auf den Flug heim.

Das letzte Mal war ich 2000 bei der Einweihung der neugebauten Synagoge in Graz. Damals nahm ich auch an einem Programm des ORF teil. Da wurde ich gefragt, ob ich Graz als meine Heimat sehe. Meine Antwort war, dass ich teure Erinnerungen meiner Kindheit von dieser schönen Stadt habe und sie gern besuche. Doch nach dem, was damals geschah, kann

Österreich nicht mehr meine Heimat sein. Diese ist da, wo meine Kinder geboren wurden, hier in Israel.

Nach langer Zeit haben die österreichischen Behörden begonnen, ihre früheren jüdischen Bürger zumindest teilweise für ihre materiellen Verluste zu entschädigen.

So erhalte ich eine monatliche Rente, die mir eine bessere Lebensqualität ermöglicht. Dies ist eine gewisse Entschädigung dafür, dass ich damals so früh meine Schulbildung beenden musste und meine Jugend recht karg war.

Nur: Für das seelische Leid der Vertreibung und den Verlust der Eltern und vieler meiner Lieben kann es natürlich keine Wiedergutmachung geben.




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