Die letzten Zeugen - Das Buc

MIRA ZOREC


 
 

MIRA ZOREC

(früher Wutti)
geb. 1928-08-26
lebt heute in Slovenia

Alle Berichte: 1 2  
Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Im Mai 2008 war Mira Zorec zu Gast am BG und BRG für Slowenen in Klagenfurt. Professor Stefan Pintner und seine SchülerInnen besuchten gemeinsam mit Mira Zorec die Gedenkveranstaltung "38/08", am 5.Mai 2008 am Wiener Heldenplatz. Die SchülerInnen Sara Stroj und Julia Mistelbauer haben die Lebensgeschichte von Mira Zorec in Deutsch und Slowenisch dokumentiert.

Mira Zorec wurde am 26.08 1928 als Mira Wutti in Dellach (Dule), Kärnten (Koroska), geboren und ging in hermagor (Smohor) in die Schule. 1942 wird sie vom »SS-Reichskomisarriat zur Festigung des deutschen Volkstums« ins Lager Frauenaurach deportiert. Mira Zorec muss als Zwangsarbeiterin im Lagerkindergarten arbeiten. Nach dem Krieg und dem Tod ihres Vaters geht sie nach Jugoslawien, wo sie studiert. Heute lebt Mira Zorec in Slowenien.

 

Von der Gestapo aus der Schulklasse geholt

Mira Zorec kam mit 14 Jahren in ein Lager, ihre Schwester musste bei Heinrich Himmler arbeiten - weil sie Sloweninnen waren.

»Wir wurden vertrieben« So hat Mira Wutti ihre Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus, die sie bald nach dem Krieg verfasst hat, betitelt. Die Familie Wutti bewirtschaftete einen kleinen Bauernhof in Mellweg/ Melviče bei Hermagor/Šmohor in Kärnten. Die Wuttis galten als bewusste Kärntner Slowenen und sahen sich seit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich einem verstärkten Druck ausgesetzt. Auch die feindseligen Blicke und Bemerkungen ihrer Nachbarn mehrten sich. Nach dem deutschen Überfall auf Jugoslawien 1941 war sich die Familie sicher, dass schwere Zeiten auf sie zukommen würden. Noch im selben Monat wurde Miras Vater Gabrijel von der Gestapo verhaftet. Miras Mutter Cecilija bat Bekannte um Hilfe, und nach mehreren Tagen größter Angst wurde Miras Vater aus ungeklärten Gründen wieder nach Hause zurück geschickt. Am 14. und 15. April 1942 wurde die gesamte Familie Wutti in ein
Sammellager in Ebenthal/Žrelec bei Klagenfurt gebracht. Mira wurde von einem Gestapo-Mann direkt aus der 3. Klasse der Hauptschule in Hermagor/ Šmohor geholt. Die Familie durfte nur das Notwendigste mitnehmen. In Ebenthal trafen sie viele bekannte Kärntner Slowenen, mit denen sie das Strohlager in den Baracken teilten. Nach einigen Tagen wurden die slowenischen Familien mit dem Zug in verschiedene Lager in Deutschland gebracht. Die meisten waren in Bayern: Hesselberg, Hagenbüchach, Schwarzenberg, Eichstätt u.a. Das Endziel für die Vertriebenen sollte die Ukraine sein, wo sie für die »nordische Herrenrasse« arbeiten sollten. Die Familie Wutti kam ins Lager Frauenaurach in der Nähe von Nürnberg. Die Gemeinschaft mit Menschen, die das Schicksal teilten, machte die langen Tage im Lager erträglicher. Durch das gemeinsame Leid wuchsen die Vertriebenen noch mehr zusammen, konnten einander helfen und unterstützen. Als besonders schmerzvoll und erniedrigend erlebten die Vertriebenen, dass ihnen ihr Besitz genommen wurde. Sie galten als »volks- und staatsfeindlich«. All die Dinge, für die sie lange und hart gearbeitet und die sie meist selbst aufgebaut hatten, wurden ihnen von einem Tag auf den anderen weggenommen. Mit der Familie Wutti kam auch Miras Großmutter ins Lager. Sie konnte die neuen Umstände nicht ertragen, erkrankte und wurde vom Lagerarzt mit einer Injektion getötet. Nach zwei gemeinsamen Monaten im Lager wurden die arbeitsfähigen Insassen auf verschiedene Arbeitsplätze in Deutschland verteilt. Miras Vater musste Gläser waschen, ihr Zwillingsbruder France kam als Knecht an den Hof eines Nationalsozialisten.

Mira arbeitete im Kindergarten des Lagers, wo sie, so weit sie konnte, den Kindern half, ihren traurigen Alltag zu vergessen. Die meisten Mädchen mussten in den Häusern von hohen SS-Offizieren und deren Freunden arbeiten. Auch Miras Schwester Lojzka wurde als Putzmädchen von einem Ort zum nächsten geschickt, bis sie schließlich im Hause Himmlers in Lindenfycht dienen musste. Lojzka befand sich im Haus des Kommandanten aller deutschen Konzentrationslager, eines Menschen, der für den Tod von mehreren Millionen Menschen verantwortlich war! Das Haus Himmlers gehörte früher einem reichen Juden. Im Haus wurde alles streng geheim gehalten, und Lojzka durfte bestimmte Zimmer nicht betreten. Sie arbeitete im Keller und im Garten, deshalb hatte sie des Öfteren die Gelegenheit, heimlich Kontakt mit Gefangenen aus dem KZ Dachau aufzunehmen, die auch in Himmlers Garten arbeiten mussten. Weil ihre Vorgesetzten mit ihr nicht zufrieden waren, befürchtete sie, auch selber nach Dachau geschickt zu werden. Wie durch ein Wunder durfte sie jedoch zu ihrer Familie nach Frauenaurach zurückkehren.
Kurze Zeit später, am 8. Juli 1944, wurde Mira nach München, in die Karlstraße Nr. 10, gebracht. Dort arbeitete sie im Haushalt des SS-Hauptsturmführers Schnitzler, des Adjutanten von Himmler, der vor dem Krieg Chauffeur gewesen war. Auch er hatte sein Haus von einer reichen jüdischen Familie gestohlen und lebte ein verschwenderisches Leben. In seinem Haus befand sich die Telefonzentrale der SS, weshalb man vor den Angestellten äußerst vorsichtig sein musste. Mira vertraute sich niemandem an, denn auch ihr wurde nicht vertraut. Im September 1944 wurde das Lager Frauenaurach aufgelöst und die Insassen wurden auf die verschiedenen umliegenden Lager aufgeteilt. Miras Eltern wurden in das Lager in Eichstätt geschickt, das nahe bei München lag, und dort durfte Mira sie auch einmal besuchen. Die Alliierten rückten indes immer näher, der Krieg neigte sich dem Ende zu. Das Geräusch der Sirenen, die einen weiteren Bombenangriff der Engländer ankündigten, gehörte mittlerweile schon zu Miras Alltag. Oft wünschte sie sich, dass doch das Haus von Herrn Schnitzler getroffen würde. Die Bomben trafen jedoch nur die umliegenden Häuser der Zivilbevölkerung. In der Karlstrasse 10 herrschte eine zunehmend hektische Stimmung, was für Mira zwar noch mehr Arbeit bedeutete, sie aber gleichzeitig hoffen ließ, dass sie vielleicht doch zu ihrer Familie zurückkehren könnte. Im Oktober 1944 war es endlich soweit. Nicht nur Mira, sondern auch ihre Schwester Lojzka sowie ihr Zwillingsbruder France konnten zu ihren Familie zurückkehren. Die Familie war nun endlich wieder vereint. Auch der Wunsch, nach Österreich versetzt zu werden, erfüllte sich. Die Familie musste nun in Freistadt im Textilbetrieb Haberkorn arbeiten. So
vergingen die letzten Kriegsmonate. Je näher die Russen und Amerikaner rückten, desto mehr Soldaten sammelten sich in Freistadt. Die
Grausamkeit der Nazis steigerte sich in den letzten Tagen ins Unermessliche. Sie nutzten die ihnen verbliebene Zeit noch dazu, »Verräter« und unzuverlässige Zivilisten zu erhängen oder zu erschießen. Am 9. Mai 1945 erreichten die Amerikaner Freistadt. In weniger als zwei Tagen waren die letzten Nazis geflohen. Danach zogen die Russen in Freistadt ein. Leider zeigten sie sich nicht ganz als die
erhofften Retter, denn sie machten keinen Unterschied zwischen den deutschen und den slowenischen Mädchen. Nach drei Jahren und drei Monaten konnte sich die Familie Wutti endlich auf den Weg in ihre geliebte Heimat machen. Alle waren erfüllt von der Hoffnung auf ein neues Leben. Nach langer und beschwerlicher Reise mit dem Zug kam die Familie in ihr leeres und verlassenes Haus zurück. Gemeinsam machten sie sich an die Arbeit, ihr Zuhause wieder aufzubauen. Auch die Nachbarn, die ihnen vorher mit Verachtung begegnet waren und schon früher von den Plänen der Umsiedlung gewusst hatten, halfen mit. Nach all dem Leid, das der Familie zugestoßen war, quälte sie ihr schlechtes Gewissen. Der schlimmste Schlag traf die Familie jedoch sechs Wochen nach ihrer Rückkehr. Am 15. September 1945 verstarb Miras Vater an den Folgen des Hungers und der harten Arbeit in Deutschland. Diesen Schmerz konnte auch keine Wiedergutmachungskommission heilen. Mira entschloss sich zur Auswanderung nach Jugoslawien.


Alle Berichte: 1 2  
Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.

Im Mai 2008 war Mira Zorec zu Gast am BG und BRG für Slowenen in Klagenfurt. Professor Stefan Pintner und seine SchülerInnen besuchten gemeinsam mit Mira Zorec die Gedenkveranstaltung "38/08", am 5.Mai 2008 am Wiener Heldenplatz. Die Lebensgeschichte wurde von Mira Zorec verfasst.

Wir wurden vertrieben!

Die Familie Wutti, wurde als Kärntner Slowenen von den Nazis umgesiedelt


Ich wurde am 26. 08.1928 in Dellach/ Egg bei Hermagor, Kärnten, geboren. Meine Eltern waren: Cäcilia Wutti, geb. Grafenauer, und Gabriel Wutti. Am 15. 04. 1942 wurde ich mit meinen Eltern, meiner Schwester Aloisia Wutti und meinem Bruder Franz Wutti vom »SS-Reichskomisarriat zur Festigung des deutschen Volkstums« ins Lager Frauenaurach zwangsumgesiedelt.
Mein Bruder Franz und ich wurden von zwei SS-Männern aus der 3. Klasse der Hauptschule in Hermagor abgeholt und nach Dellach gebracht. In Bussen warteten meine und andere vier Famillien auf den Abtransport. Auch meine Großmutter, Aloisia Grafenauer. Sie starb nach zwei Monaten im Lager und ist in Frauenaurach bei Erlangen begraben. Meine Schulzeit und die meines Zwillingsbruders und meiner Schwester wurde durch die Umsiedlung abgebrochen. In Klagenfurt waren wir mit anderen slowenischen Kärntner Familien in Baracken untergebracht.

Nach ein paar Tagen wurden wir in einen langen Zug eingepfercht und ins Lager nach Frauenaurach bei Erlangen abtransportiert. Lauter Frauen, alte Männer und Kinder. In einem Raum der Baracken wohnten zwanzig und mehr Menschen. Wir waren nicht frei, wir hatten nichts, wir waren »Staatsfeinde«. Das war sehr schlimm. Bald wurden die Erwachsenen in verschiedene Betriebe in Erlangen, Nürnberg, Frankfurt, Mainz… als Zwangsarbeiter eingesetzt. Im Lager wurde ein provisorischer Kindergarten organisiert. Damals war ich 14 Jahre alt und musste unter Kontrolle des Lagerführers auf viele Kinder acht bis neun Stunden aufpassen. Mit den Kindern slowenisch zu sprechen war streng verboten. Im Juli 1944 wurde ich zur Zwangsarbeit nach München, Karlstr. 10, in eine SS – Agentur geschickt. Dort arbeitete ich unter Bewachung in der Küche. Ab 1. Oktober 1944 übersiedelte man unsere Famillie nach Freistadt, Lzv. 75 in Österreich, wo wir in der Textilfabrik Haberkorn sehr viel leisten mussten. Meine Mutter erkrankte an Tuberkulose, mein Vater hatte große Schwierigkeiten mit dem Herz.

Nach dem Kriegsende im Mai 1945 machten wir uns auf den Weg nach Hause. Teils zu Fuß, teils mit Pferdegespann, teils mit dem Zug. Zu Hause in Dellach war unser Haus vollkommen ausgeplündert, auch beide großen Ställe waren leer, beide großen Tennen leer… Keine Landwirtschaftsgeräte, kein Werkzeug! Am 15. September 1945 starb mein Vater, 58 Jahre alt. Meine Mutter war wegen ihrer Lungenerkrankung sehr schwach. Wir Kinder waren ohne abgeschlossene Schulbildung, ohne Beruf. Wir hatten keine Einnahmen, kein Geld. Damals suchte meine Mutter um eine Wiedergutmachung bei der Kärntner Landesregierung an. Es dauerte und dauerte… Dann im Dezember im Jahre der Devalvierung des österreichischen Schilling wurden ihr 18.000,00 Ö Sch zugesichert. Schon am nächsten Tag wurde der Schilling, wie bekannt, 3/1 umgewertet. Also bekam meine Mutter nur 6.000,00 Ö Sch! So war das damals mit der »Wiedergutmachung« in Österreich! Ich sah in meiner Heimat keine Zukunft für mich. Deshalb reiste ich zu meinen Verwandten nach Ljubljana und holte in der Schule im damaligen Jugoslawien nach, was mir in der Nazizeit verweigert wurde. In Ljubljana beendete ich die LBA und die Pädagogische Hochschule, heiratete und arbeitete als Sprachlehrerin in Slowenien bis zu meiner Pensionierung. Am schwersten, was uns Kindern mit der Zwangsaussiedlung zugestoßen ist, ist wohl das, dass man uns die Freiheit genommen hat und damit unsere Schulzeit zwangsmäßig abgebrochen ist, nur weil wir als Slowenen in Kärnten geboren wurden. Man hat uns vieler Möglichkeiten in der Zukunft beraubt und wegen der Vertreibung unzählige Schwierigkeiten im späteren Leben bereitet. Aus meiner Familie bin nur noch ich am Leben geblieben. Und das, was uns und anderen Kärntner Slowenen in der Nazizeit zugestoßen ist, kann man nicht vergessen, aber ich möchte denen, die uns so viele Schmerzen verursacht haben, alles vergeben.

Mira Zorec (geb. Wutti), Piran, am 26. August 2008.

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