Die letzten Zeugen - Das Buc

FRED KNOLLER


 
 

FRED KNOLLER

geb. 1921-04-17
lebt heute in Großbritannien

Ermordete Verwandte


Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.

Im Mai 2008 waren das GRG Rahlgasse in Wien mit Lehrer Florian Part sowie die HLA für Kunst in der Wiener Herbststraße mit Lehrer Christian Gmeiner Gastgeber für Freddie Knoller.

Einige Passagen der von Katja Seidel verfassten Lebensgeschichte stammen aus dem Buch »Living with the Enemy: My Secret Life on the Run from the Nazis« von Freddie Knoller, 2005, Metro-Publishing

Freddie Knoller  wird 1921 in Wien geboren. Mit 17 Jahren kann er 1938 nach Belgien auswandern, 1940 muss er nach der Einnahme durch die Deutschen weiter nach Frankreich flüchten. In Paris arbeitet er zuerst unter falscher Identität mit deutschen Soldaten. Später geht er in den Widerstand, wird verraten und ins KZ Auschwitz deportiert. Er überlebt mehrere KZ und Todesmärsche und wird schließlich in Bergen-Belsen von den Briten befreit.

»Kein Gedanke ist frei von Auschwitz«

Freddie Knoller führte in Paris unter falscher Identität deutsche Soldaten in Bordelle, ging dann in den Widerstand und kam ins KZ.

Ja, das ist mein Charakter, blind optimistisch! Und vielleicht war das ein Segen für mich, weil ich immer geglaubt habe, dass ich die Lager überleben werde, und dieser Glaube und eine große Portion Glück haben mich möglicherweise gerettet!

Freddie Knoller kommt 1921 in Wien als Sohn einer jüdischen Familie der österreichischen Mittelschicht zur Welt und erlebt eine glückliche Kindheit. Als jüngster von drei Söhnen lernt er Chello spielen, er sammelt in seiner Freizeit Briefmarken und geht wie seine Brüder ins Gymnasium. Seine Bar Mizwah feiert Freddie Knoller 1934 noch völlig unbehelligt von politischen Ereignissen im Polnischen Tempel. Sein Leben als Jugendlicher ist geprägt vom jüdischen Glauben und der sozialdemokratischen Einstellung.

Ein Familienbild (siehe übernächste Seite), das 1937 in der damaligen Wohnung aufgenommen wurde, zeigt die noch heile Welt der drei Knoller-Burschen mit ihren Instrumenten. Die Brüder traten häufig zusammen als »Das Trio der Brüder Knoller« auf. So lud eine Ankündigung bereits am 8. April 1932, als Freddie 11 Jahre alt war, zur Aufführung des »Josef Haydn Trio No. 1 in G-Dur«.

Als Österreich nach der letzten Rede Schuschniggs an Deutschland angeschlossen wurde, versuchen die Eltern ihre Kinder vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. Freddie Knoller kann im Dezember 1938 nach Belgien emigrieren, doch als Deutschland Belgien im Jahr 1940 annektiert, muss er erneut fliehen – diesmal nach Frankreich.

In Frankreich lebt er nun unter falschen Papieren als Robert Metzner – ein Franzose aus dem Elsass. Er kommt in Paris unter und verdient sich seinen Lebensunterhalt als Guide im Rotlichtmilieu von Montmartre, wo er gegen eine kleine Kommission deutsche Soldaten zu Nachtclubs, Kabaretts und Bordellen führt.

Über seine Zeit in Paris und die Abgrenzung zu jüdischen Bekannten schreibt Freddie Knoller: »Ich schämte mich, dass mein Kopf auf diese Weise gegen meine Freunde arbeitete, aber ich wusste auch, dass es, um zu überleben nötig war, wie die Nazi-Eroberer zu denken, unter denen ich lebte. Ich musste mich so weit wie möglich von den Menschen entfernen, die sie hassten – im Grunde musste ich mich von mir selbst entfernen!«

Eines Tages kommt es zu einer alles verändernden Begegnung. »Das Ende meines Paris-Abenteuers kam plötzlich. Eines Abends, als ich wieder einmal wie üblich mit den deutschen Soldaten verhandelte, kamen zwei Zivilisten in langen, schwarzen Ledermänteln, offensichtlich Gestapo-Männer, auf mich zu. Ich erstarrte. Sie forderten mich auf Französisch auf, meinen Ausweis zu zeigen. Zum Glück war ich geistesgegenwärtig genug, um sofort auf Deutsch zu antworten. ›Sie sind also aus dem Elsass, Herr Metzner?‹ kam als Antwort und ›Was machen Sie denn hier mit den deutschen Soldaten?‹

Mein Herz schlug heftig und doch versuchte ich, meine Antwort einfach geschäftig wirken zu lassen. ›Nun, ich bin ein Guide. Ich führe die Soldaten herum, bringe sie zu einigen Klubs ... Sie können sich dann die Show ansehen, Kabaretts, so Sachen eben. Nichts besonderes. Und da ich ja Deutsch spreche, kommen wir gut miteinander aus.‹ Die beiden Männer nickten, machten aber dennoch klar, dass ich mitkommen müsse. Sie eskortierten mich zu ihrem Wagen und ich warf noch einmal einen Blick auf die glanzvolle Pariser Kulisse und fragte mich, ob ich sie wohl je wieder sehen würde.«

Das Gestapo-Hauptquartier, in das die zwei Männer Freddie Knoller bringen, ist in einem eleganten Gebäude vis-a-vis der Oper untergebracht. Die »weiten, alptraumartig widerhallenden Gänge« der Kommandantur, durch die er geführt wird, vermitteln ihm das Gefühl, ein »unbedeutendes Insekt« zu sein.

Freddie Knoller wird von den Männern in ein Büro gebracht, an dessen Wand ein Portrait Hitlers  und die Hakenkreuzfahne hängen. Sein Blick fällt aber auf den Schreibtisch vor ihm, auf dem sich wie ein Ornament ein aus Gips geformter, menschlicher Schädel befindet. Er beschreibt die Szene in seinen eigenen Worten: »Einer der Männer verließ den Raum, der andere setzte sich hinter den Schreibtisch und wies mich an, mich ihm gegenüber zu setzen. Er betrachtete mich ausgiebig und fing an, mich zu befragen, beginnend bei meiner Familiengeschichte. Ich war gut vorbereitet und erzählte flüssig und ohne Fehler. Ich erzählte ihm sogar, dass mein Vater auf Grund seiner außergewöhnlich pro-deutschen Einstellung von den Franzosen inhaftiert worden sei, dass ich mich selbst so deutsch wie er fühle und wie froh ich darüber sei, dass Elsass nun endlich wieder Teil des Vaterlandes sei. ›Als guter Deutscher sollten Sie nach Deutschland gehen und für den Sieg des Deutschen Reiches arbeiten und nicht dieses niedrige Leben hier in Paris führen.‹

Als mein Blick erneut auf den am Schreibtisch platzierten Schädel fiel, wandte sich auch der Gestapomann dem Objekt zu. Er grinste. ›Das ist ein Abbild des typischen Schädels eines Juden‹, erklärte er mir stolz, ›ich habe mich mit dieser Wissenschaft genau auseinandergesetzt und kann heute präzise zwischen dem Kopf eines Juden und dem eines echten Ariers unterscheiden‹, offensichtlich stolz auf sein Können.

Mit einem Mal stand er auf, sein Blick wieder konzentriert auf mich gerichtet, kam zu mir herüber und stellte sich hinter mich. Er nahm meinen Kopf zwischen seine Hände und ich fühlte seine Finger, tastend, mit fast obszön anmutender Genauigkeit die Form meines Schädels untersuchend. War ich menschlich, fragten die tastenden Finger an meinem Kopf? Oder war ich etwas Anderes, weniger, eines Menschen nicht wert?

Ich war in einem Stadium vollkommener Paralysierung – würde seine Untersuchung nach dem Abtasten meines Kopfs weitergehen, abwärts, und würde er von mir fordern, meine Hosen zu öffnen? Meine Herkunft wäre dann nicht länger zu verleugnen gewesen. Doch stattdessen beendete der Mann seine Untersuchung mit einem zustimmenden Lächeln und den Worten: ›Ja wirklich, ich kann fühlen, dass Ihr Blut wahr-haftig deutscher Abstammung ist! Das habe ich mir gleich gedacht, als ich Sie gesehen habe!‹«

Die Befragung endet, Freddie Knollers jüdische Herkunft bleibt unerkannt. Doch sein Aufenthalt in Paris ist damit beendet, denn als »guter Deutscher« hätte er sich am nächsten Morgen im deutschen Büro einfinden sollen, um einer »seiner würdigen« und besser bezahlten Arbeit nachzugehen.

Nach diesem gefährlichen Aufeinandertreffen mit der Gestapo ist Freddie Knoller 1943 erneut zur Flucht gezwungen und entkommt mit Hilfe seiner Pariser Freunde nach Figeac, wo er sich dem französischen Widerstand anschließt.

»Ich war froh, nicht länger die Rolle des freundlichen Begleiters des Feindes spielen zu müssen oder mit anzusehen, wie Juden zusammengetrieben wurden. Ich hätte gewiss zuversichtlich den Rest des Krieges in Paris verbracht, aber nun, da dieser Teil meines Lebens vorüber war, war ich erleichtert. Ich wollte nichts anderes als gegen die Deutschen zu kämpfen und es kümmerte mich überhaupt nicht, ob ich dabei sterben würde.«

Nach mehreren Monaten als Mitglied der französischen Resistance in den Bergen Südfrankreichs wird Freddie Knoller im Oktober 1943 verraten und von den Deutschen gefangen genommen. Als er die im Verhör angewandten Foltermethoden nicht mehr länger aushalten kann und um seine Freunde im Widerstand nicht zu verraten, enthüllt er seine jüdisch-österreichische Identität. Als Folge davon wird er sofort nach Drancy deportiert und wird wenig später erneut in einen Zug mit unbekanntem Ziel gepfercht.

Die in Drancy internierten Juden dachten, sie würden an einen Ort namens »Pitchipoi« gebracht werden, ein Ort, der in Wirklichkeit gar nicht existierte. Tatsächlich fuhren die Züge nach Auschwitz.

»Jedes Ereignis in meiner Geschichte führt nach Auschwitz und kein nachfolgender Gedanke in meinem Leben ist frei von der Erinnerung an Auschwitz. Bis zum heutigen Tag – sehr zum Leidwesen meiner geliebten Ehefrau – schlinge ich Essen in mich hinein, als ob es nie wieder eines geben würde und wenn mein Teller leer ist, schaue ich gierig auf den ihren. Der Mensch, der in Drancy in den Viehwaggon stolperte, verlor ein für alle Mal seine Jugend und seine Naivität. Die Nazi-Maschinerie der Degradierung begann für mich im vollgestopften Viehwaggon und auch wenn diese Erfahrung nur eine Einleitung zu Auschwitz gewesen ist, so war es doch eine lehrreiche.

Als ich in Auschwitz ankam, war ich so erschöpft, dass ich kaum bemerkte, wie bizarr es war, bei der Ankunft Musik zu hören, gespielt von Häftlingen in Pyjamas, an einem Ort, an dem schwarz-uniformierte SS-Männer, Wachtürme und Stacheldraht die Szenerie beherrschten.«

Als im Jänner 1945 die russischen Truppen näher rücken, wird Freddie Knoller am 17. Jänner auf einen Todesmarsch geschickt, auf dem unzählige Gefangene umkommen oder von der SS getötet werden.

»Wir quälten uns durch hohen Schnee, die SS an unserer Seite. Ich schaute zurück auf das wohl bekannte Schild über dem verlassenen Lager ›Arbeit macht frei‹. Der Klang der Artillerie, der Klang unserer Befreiung, kam Stück für Stück näher und doch entfernten wir uns von ihm mit jedem Schritt. ›Wie lange werden wir marschieren müssen?‹«

Nach einem fünfwöchigen Aufenthalt im Konzentrationslager Dora, wo die Zwangsarbeiter für das Deutsche Heer V1 & V2 Bomben produzierten, wird Freddie Knoller nach Bergen-Belsen gebracht. Dort wird er am 15. April 1945, zwei Tage vor seinem 25. Geburtstag, von den Engländern befreit.

Diesen Moment beschreibt er mit folgenden Worten: »Die Briten hatten uns befreit – doch keiner jubelte. Totales Schweigen markierte den Moment unserer Befreiung. Wir waren zu schwach und wir hatten zu viel erlebt, um Freude zu empfinden. Erst als die Briten an jeden von uns eine Schale Reis und warme Milch verteilten, verstanden wir, dass wir eines Tages wieder Menschen sein würden.«

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