Die letzten Zeugen - Das Buc

STELLA ROTENBERG


 
 

STELLA
ROTENBERG

(früher Siegmann)
geb. 1916-03-27
lebt heute in Großbritannien

Ermordete Verwandte


Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Stella Rotenberg wurde am 27.3.1916 in Wien geboren. Sie konnte 1939 in die Niederlande emigrieren und danach weiter nach England flüchten. Ihre Eltern sowie viele Verwandte wurden in den Vernichtungslagern der Nazis ermordet. Stella Rotenberg lebt heute in Leeds und ist eine preisgekrönte Schriftstellerin.

Was die Nazis nicht schafften, war ihr die Sprache zu rauben

Die Schülerin Hanja Dämpn aus dem BG Rahlgasse hat die Lebensgeschichte von Stella Rotenberg recherchiert.

Stella Rotenberg, geborene Siegmann, kam am 27. März 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, in Wien zur Welt. Sie wuchs in einfachen, aber nicht ärmlichen, Verhältnissen, in der Geborgenheit ihrer Familie auf. Bald zeigte sich, dass sie eine besondere Beziehung zur Sprache hat. Das Lesen flog ihr zu, wie sie später in einem Interview sagte. Sobald sie lesen konnte, wollte sie nichts anderes mehr tun. Sie verschlang Märchen ebenso wie die großen Romane der Weltliteratur. Im Haus gab es nur wenige Bücher. Aber sie tauschte die geliebten Bücher mit ihren Freundinnen aus, auch in den Bibliotheken fand sie immer wieder Nachschub für ihre Leseleidenschaft.

Erste politische Erfahrungen sammelte sie bei den sozialistischen Mittelschülern, an deren Sommerkolonien sie auch teilnahm. Anfang der 30er-Jahre merkte sie, dass die Zeiten immer unruhiger wurden. Ein Onkel trat dem Schutzbund bei und war auch bereit, für seine Überzeugung zu den Waffen zu greifen. Neben der Literatur faszinierte sie auch die Mathematik, die für sie Ordnung in das Chaos der Welt brachte. Dennoch begann sie weder Germanistik noch Mathematik zu studieren. Sie entschied sich für ein Medizinstudium an der Universität Wien. Nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland im Jahr 1938 musste sie wie viele andere Studentinnen und Studenten aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ihr angefangenes Medizinstudium abbrechen. Sie durfte die Universität nicht mehr betreten.

Stella Rotenberg ahnte, dass Schlimmes drohte. Bereits vor dem Einmarsch der Nazis hatte sie an Ausreise gedacht, doch bis zuletzt wollte sie den kleinen Funken Hoffnung nicht aufgeben. Mit März 1938, dem Einmarsch der Nationalsozialisten, begann ein Wettlauf mit der Zeit. Neun Monate lang musste sie sich nächtelang bei Ämtern anstellen, musste die Demütigungen von Beamten ertragen, bis sie schließlich doch alle Genehmigungen zusammen hatte, die für eine Ausreise notwendig waren. Es war für sie eine sehr schwierige Zeit. In ihrem Brief an mich schrieb sie, dass ihre Familie in dieser Zeit keinerlei Hilfe von Nichtjuden erfahren hatte, obschon sie zu bedenken gibt, dass die Hilfswilligen befürchten mussten, sich selbst und ihre Familien in Gefahr zu bringen.

Als Antwort auf meine Frage, ob sie schon vor dem Anschluss mit Antisemitismus konfrontiert worden war, schrieb sie, dass der Antisemitismus zu ihrer Zeit in Österreich weit verbreitet war, und wahrscheinlich jeder jüdische Mensch ihn zu spüren bekommen hat. Weiters schrieb sie: „Ich habe vom 19. März 1938 bis 14. März 1939 in der Hitlerdiktatur gelebt, in dieser Zeit bin ich keinem Deutschen begegnet. Die uns bedrängt haben, waren Österreicher ...“.

Am Tag, als Hitler in die Tschechoslowakei einmarschiert ist, konnte Stella Rotenberg in die Niederlande ausreisen. Dort arbeitete sie anfangs als Haushaltshilfe, später als unbezahlte Heimhilfe in einem Waisenhaus. Im August 1939 konnte sie schließlich nach England weiterreisen. Dort wurde sie Lehrling in einem großen Spital für psychisch kranke Menschen. In ihrem Prosatext „Ungewissen Ursprungs“ schreibt sie darüber: „Ich habe weder vorher noch seither in meinem Leben so schwer gearbeitet wie in dieser Anstalt ... aber es war die wertvollste Arbeit (für mich, nicht für die Kranken), die ich je geleistet habe.“ Ihr Studium konnte sie nicht mehr aufnehmen. Sie hätte unmöglich die Studiengebühren bezahlen und gleichzeitig für ihren Lebensunterhalt aufkommen können.

Nicht nur ihrer Familie wurde Stella Rotenberg durch die Nazis beraubt – ihre Eltern und ein Großteil ihrer Verwandten wurde in den Vernichtungslagern ermordet – auch in ihr früheres Leben fand sie nicht mehr zurück. Eine neue Heimat wird sie nie mehr finden. Am Ende ihres Textes „Ungewissen Ursprungs“ schreibt sie: „Ich habe schon zwei Drittel meines Daseins in Großbritannien zugebracht, es ist ein schönes Land – ich verdanke diesem Land mein Leben. Dass ich mich nicht zu Hause fühle, liegt an mir, ich bin nirgendwo zu Hause. Mir ist ja kein Ort verloren gegangen,sondern eine Entwicklung, eine Generation.“

Was die Nazis nicht schafften war, ihr die Sprache zu rauben. Sie begann in ihrer Muttersprache Gedichte zu schreiben, die sich zumeist mit der Shoah und deren Folgen befassen. Ihre Hauptthemen sind Verfolgung, Exil und der Verlust von Heimat und Muttersprache. Ihre poetischen Texte schaffen es viel eindringlicher spürbar zu machen, was die Nazis ihr und so vielen anderen angetan haben, als es eine historische Nacherzählung der Ereignisse je vermögen würde.

„Über das Verseschreiben“ (Seite 93)

Meine Mutter hat einen Schatz.
Einen reichen weiten Wörterschatz.
Aus dem schöpfte sie und füllte mir
Hand und Aug und Ohren; stillte mir
Durst und Hunger; gab mir in den Mund
Balsam. Auf die Wund
die ihre Mörder uns geschlagen
laß ich ihn tropfen.Du sollst nicht fragen
ob es ausreicht. Hör –
ich bin verstummt.

Sie kämpfte um ihre Sprache, wollte in den ersten Jahren in Großbritannien möglichst wenig Englisch sprechen, um ihr Deutsch zu bewahren. Im obigen Gedicht wird nachvollziehbar, warum ihr das so wichtig war. Mit der Muttersprache ging es gleichzeitig um die Mutter, zu der dieser letzte seidene Faden, der ihr geblieben war, nicht zerreißen durfte. Vielleicht war es ein letztes bisschen Heimat, das die Sprache ihr noch bieten konnte. Heimat war ein zentrales Motiv der Dichtung von Stella Rotenberg. In einem ihrer ersten Gedichte aus dem Jahr 1940 taucht das Wort bereits im Titel auf. Man spürt darin die Entwurzelung, die Halt- und Aussichtslosigkeit, in der sie lebte.

"Ohne Heimat" (Seite 69)

Wir sitzen auf Stühlen die nicht unser sind.
Wir essen von Tellern die nicht unser sind.
Wir sprechen die Sprachen
die nicht unser sind.
Unser ist: Der Staub und der Steg.
Unser ist: Das Wandern und der Weg.
Unser ist das Leben, das keinen Keim hat.
Wir haben keine Heimat.

Viele ihrer Gedichte sind sehr schlicht und einfach und wahrscheinlich gerade deshalb so eindringlich und aufwühlend. Ihre Gedichte lassen uns Anteil an dem nehmen, was diesen Menschen angetan wurde, sie lassen die Wunden spüren, die den Gepeinigten auf immer hinterlassen wurden. Für mich persönlich wird dies vor allem in folgenden Gedichten deutlich:

"Im Exil" (Seite 77)

Wir leben wie Tiere leben,
auf der Hut, auf der Wacht, am Sprung.
Von einem friedlichen Leben
blieb uns keine Erinnerung.

"In der Schwarzen Leere“ (Seite 24)

In der schwarzen Leere
stehe ich.
An der schwarzen Leere
zehre ich.
Mit der schwarzen Leere
dreh ich mich.
Aus der schwarzen Leere
hebe mich.

Stella Rotenbergs Sprache scheint zum Teil aus einer anderen Zeit zu kommen, dies wohl auch deshalb, weil sie eine Sprache bewahrt hat, wie sie vor ihrem Exil in Wien gesprochen wurde. Stella Rotenberg, die 1946 die britische Staatsbürgerschaft erhielt und seit 1948 in der englischen Stadt Leeds lebt, hatte nach dem Krieg keinen Kontakt mehr zu Österreich. Erst Ende der 70er-Jahre willigte sie ein, dass ihre Gedichte auch in Österreich erscheinen durften. Später wurden ihr auch öffentliche Ehrungen zuteil. 1996 erhielt sie das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. 2001 erhielt sie den erstmals verliehenen „Theodor Kramer-Preis für Schreiben im Exil und im Widerstand“. Eine Rückkehr nach Österreich kam für sie jedoch nie in Betracht.

Hanja Dämon, BG Rahlgasse, Wien, 2005

Die o.a. Gedichte stammen aus folgendem Band: Stella Rotenberg: An den Quell. Gesammelte Gedichte. Hg. von Siglinde Bolbecher und Beatrix Müller-Kampel. Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2003.


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