OE1-Beitrag
Liebe Ida, Ich möchte meinen Brief zuerst einmal damit beginnen mich und das Projekt vorzustellen. Ich heiße Lexi, bin 17 Jahre alt und komme aus Wien. Eine Gruppe von Leuten hat das Projekt „Letter to the stars“ in die Welt gesetzt und damit Schülern und Schülerinnen aus ganz Österreich die Möglichkeit gegeben sich mit Opfern des Holocaust und deren Vergangenheit auseinander zusetzen. Als einer meiner Klassenkameraden vorgeschlagen hat bei diesem Projekt mitzuarbeiten waren sofort alle begeistert, und haben hektisch auf weitere Informationen unseres Lehrers gewartet. Schließlich bekamen wir ein paar Namen vorgegeben, und wir hatten freie Wahl bei der Entscheidung, welches Opfer wir nehmen. An Auswahl gab es ja genug, immerhin wurden Informationen von ca. 65.000 Opfern ins Internet gestellt. Einige wählten die Opfer nach Geburtsdatum aus, andere wiederum entschieden sich für Namen, die viele Informationen boten. In genau einer Woche werden sich alle Teilnehmer des Projektes auf dem Wiener Heldenplatz versammeln. Vorgesehen sind Ansprachen vom Bundespräsident, von verschiedenen Prominenten und eine Show mit vielen Stars. Aber warum gerade der 5. Mai? Der 5. Mai ist einerseits der Tag an dem wir gegen Gewalt, Rassismus und an die Opfer des Nationalsozialismus gedenken. Außerdem ist es der Tag an dem das Konzentrationslager Mauthausen befreit wurde. Bei diesen Anlässen wollen wir euch allen zeigen das wir über dieses Thema nicht einfach nur hinweg sehen, sondern dass wir versuchen alle zusammen zu halten. Alle sollen sehen, dass wir eine Nation sind sowohl damals als auch heute. Um an diesem Tag auch etwas symbolisches zu hinterlassen, werden wir alle unsere Briefe an weißen Luftballons befestigen und sie gleichzeitig aufsteigen lassen. Wir hoffen damit ein Zeichen zu setzen, dass sich so etwas schreckliches wie damals nicht wiederholen darf. Ich habe mich den anderen angeschlossen und mich für dich entschieden weil du auch am 15.Dezember geboren wurdest, genau wie mein Freund. Laut meinen erhaltenen Informationen wurdest du in Sambor, in Polen geboren. Dein Mädchenname war Löwenthal. Leider machten mir die besagten Informationen nicht möglich, herauszufinden aus welchem Grund du nach Wien gekommen bist. Aber da dein letzter Familienname Steinbach war, nehme ich an, dass du einen Wiener geheiratet hast und dich mit ihm in Simmering angesiedelt hast. Ich wohne auch in Simmering. Um einen besseren Eindruck zu bekommen, bin ich zu deiner letzten bekannten Wohnadresse gefahren. Das ist gleich in der Nähe von der Gottschalkgasse. Dort sind einige meiner jetzigen Schulfreunde in die Schule gegangen. Ich denke sogar, dass einige meiner Verwandten auch dieses Gymnasium besuchten. Immer wenn ich jetzt dort vorbei gehe oder fahre, denke ich daran wie es früher wohl gewesen ist. Habt ihr gut gelebt, bis zu jenem schrecklichen Tag an dem ihr flüchten musstet? Du bist doch nach dem Einmarsch der Nazis nach Polen gegangen, mit der Hoffnung auf Sicherheit, doch auch dort sollte es nicht besser sein. 1941 wurdest du aufgegriffen und in das Zwangsarbeitslager Janowska bei Lemberg (Lwow) deportiert. Wie musst du dich damals gefühlt haben...losgerissen von deiner Familie, in einem Lager das hauptsächlich durch Schmerzen und Leid bestand. Ihr habt 1943 einen Aufstand gemacht. Das war am 19. November. Ich weiß nicht ob du auch dabei warst. Leider gibt es nirgendwo Aufzeichnungen über den weiteren Verlauf deines Leidensweges, den aber nicht nur du, sondern auch tausende andere zu unrecht gefangengenommene Personen durchstehen mussten. Wie mag es dem Rest deiner Famile erganmgen sein? Das einzige bekannte Detail deiner kurzen Biographie, ist, dass dein Sohn Kurt überlebt hat. Er war einer der wenigen Glücklichen die dem Schrecken des Holocaust entkommen konnten. Dein Sohn hat 1961 für dich eine Todeserklärung beantragt. Jene findet man im Stadt- und Landesarchiv (Signatur 48 T 16/61). Heute Nachmittag bin ich dort gewesen und wollte sie mir ansehen. Doch leider dauert das eine gewisse Zeit, und es wird sich nicht mehr ganz ausgehen, bis zum nächsten Montag. Aber auch wenn ich genauere Details hier jetzt nicht aufliste, werde ich trotzdem warten um sie zu sehen. Diese Todeserklärung wurde auch im Amtsblatt der Wiener Zeitung am 15. Februar. 1961 kundgemacht. Weiters ungeklärt bleibt aber wie genau du gestorben bist. Es macht einen richtig traurig zu wissen, dass man nicht einmal die genaueren Umstände erfahren wird/kann. Aber ich weiß im Moment nicht genau was ich fühle...ist es Wut??? Wut gegenüber den Leuten die für diese schrecklichen Massaker verantwortlich sind? Ist es Trauer und Mitleid gegenüber den vielen Opfern des Nationalsozialismus und deren Angehörigen die vielleicht gar keine Chance hatten ihre Vorfahren kennen zulernen? Oder ist es mehr die Angst das so etwas wieder passieren könnte? Doch ich werde den Brief jetzt beenden, bevor ich von einem falschen Gefühl überkommen werde und meinen Hass gegen Hitlers grausames Regime in diesem Text ausdrücke. Denn das will ich hier nicht hineinschreiben. Es wäre Fehl am Platz. Wo immer du auch sein magst, ich weiß, dass du jetzt ein besseres Leben hast. Ein Leben das du verdient hast, wie all die anderen, die ihr Leben unsinnig lassen mussten. Lexi