Die letzten Zeugen - Das Buc

KARL STAYNA


 
 

KARL STAYNA

(früher Glücklich)
geb. 1926-03-01
lebt heute in den USA


Diese Geschichte wurde im Projekt "Botschafter" erstellt.

  • Benjamin Huber, 18, Schüler an der HBLW Kufstein in Tirol, begegnet als Botschafter der Erinnerung in New York dem
  • Überlebenden Karl Stayna, 81, der 1938 mit einem Kindertransport nach England ausreisen konnte.

zur Lebensgeschichte von Karl Stayna

Der Erlebensbericht: "Diese Tage waren die wertvollsten meines Lebens"


Am 10. April 2007, drei Wochen nachdem wir offiziell von Bundespräsident Heinz Fischer verabschiedet worden waren, traten wir unsere aufregende Reise nach New York an. Wir, das sind 30 Schülerinnen und Schüler aus ganz Österreich, die ausgewählt wurden um am nachhaltigsten Zeitgeschichte-Projekt Österreichs „A Letter to the Stars“ mitzuarbeiten.

Einige Wochen vor der Reise erhielt ich Informationen über den jüdischen Überlebenden des Holocausts, mit dem ich mich in NY treffen sollte, um seine persönliche Geschichte zu dokumentieren. Sofort nachdem ich die Kontaktdaten erhalten hatte, schrieb ich ihm einen Brief, in dem ich ihm für das Vertrauen und die Chance, die er mir gab, dankte. Die Antwort, die ich auf meinen Brief erhielt, hätte herzlicher und offener nicht sein können. Karl, so der Name meines Zeitzeugen, zeigte reges Interesse an Österreich und dafür, was sich im Laufe der Zeit getan hat. So kam es, dass wir nach unserem ersten Briefwechsel gleich ein Telefonat führten. Die Vorfreude auf das persönliche Treffen in New York war auf beiden Seiten sehr groß.

Eine schwere Aufgabe, die uns das Projektteam gestellt hatte, war das so genannte „Paket der Erinnerung“ zusammenzustellen. Dieses Paket enthält Erinnerungen an die Heimat, die Karl vor fast 70 Jahren verlassen musste. Mannerschnitten, Bilder seiner alten Wohnung und Fotos seiner Familie waren wichtige Bestandteile dieses Pakets.

Nachdem alle diese Vorbereitungen getroffen waren, begann unsere Reise. Ein 9-Stunden-Flug von Wien nach New York, sechs Stunden Zeitverschiebung – Strapazen, die sich gelohnt haben. Am ersten Abend hatten wir noch ein wenig Zeit uns in Manhattan umzusehen, bevor am nächsten Tag das Wochenprogramm anfing.

Mittwoch, Frühstück in New York. Mit Äpfeln, die beinahe doppelt so groß wie meine Faust waren, und einem Liter Kaffee stand einem guten Start in den Tag nichts mehr im Weg. Gleich am Morgen dieses Tages trafen wir im „Selfhelp“-Kaffeehaus, eine Einrichtung, am ehesten vergleichbar mit der Caritas, auf einige Überlebende, die sich sehr freuten, Jugendliche aus ihrer alten Heimat zu sehen. Nach einigen Stunden, die wir mit diesen interessanten Menschen verbrachten, fiel uns der Abschied sehr schwer. An diesem Tag fiel mir zum ersten Mal die Liebe auf, die die meisten Überlebenden noch immer für ihr Land empfinden.

Das Leo-Baeck-Institut war die zweite Station an diesem Tag. Dort erfuhren wir interessante Details über jüdische Geschichte und die Täter-und Opferrolle Österreichs im Zweiten Weltkrieg. Den Rest dieses Tages verbrachten wir damit, unser Geld am Times Square auszugeben .

Donnerstag, ein Tag mit Tränen des Zorns und der Traurigkeit. Wir wurden von einem Überlebenden durch das „Museum of Jewish Heritage“ geführt. Was interessant begann, nahm eine Wendung, als dieser Überlebender begann seine Meinung über Österreich und Österreicher preiszugeben. Ich habe versucht den Hass zu verstehen, der tief im Herzen dieses Menschen verankert ist, es ist mir nicht gelungen. Es ist schmerzhaft gesagt zu bekommen, dass unsere Großeltern und deren Eltern Verbrecher sind. Menschen, die wir lieben, werden gehasst, das Land, in dem wir leben, verachtet.

Dieser Tag war wohl der emotionalste, ein Tag, oder besser gesagt, ein Schmerz, ein Gedanke, den man niemals vergessen kann. Was diesen Tag doch noch zu einem guten Erlebnis brachte, war das erste Treffen mit Karl und dessen Frau Martha. Die warmherzige Art der beiden hat mich sehr beeindruckt. Leider war das Treffen eher kurz, da Karl trotz seines Alters immer noch einem Beruf nachgeht. Wir fixierten unser Treffen am Montag und plauderten ein wenig über meine Eindrücke, die ich von New York gewonnen hatte, bevor wir uns wieder verabschieden mussten.

New York, New York – Freitag machten wir etwas, das bei Touristen sehr beliebt ist, es nennt sich „extreme sightseeing“ .. Up Town, Down Town – hinauf und hinab, bis 3 Uhr Früh.

Am Samstag begann der Tag dafür etwas ruhiger. Shabbat Shalom – Wir wurden eingeladen, am Shabbat in der Park-East-Synagoge teilzunehmen. Ein wunderbares Erlebnis, denn obwohl wir einen anderen Glauben haben, wurden wir herzlich in den Shabbat aufgenommen. Die Kipa, die Gebetsmütze, die Juden in der Synagoge tragen müssen, bekamen wir von Herrn Schneier, dem Rabbi, der uns durch den Shabbat führte.
Eine Stunde lang bekamen wir einen Eindruck davon wie Juden ihrem Glauben Ausdruck verleihen.

Sonntag, Yom HaShoah. Eine eindrucksvolle und bewegende Gedenkfeier für die Opfer der Shoah, die Überlebenden und deren Angehörigen. Ein Programm, das über Sprachbarrieren hinausgeht. Jiddische Lieder, Zeitzeugenberichte von Überlebenden. Die Emotionen waren dermaßen präsent, dass jede Übersetzung überflüssig gewesen wäre.

Am Montag war es dann soweit. Ich hatte endlich die Chance den ganzen Tag mit meinem Überlebenden zu verbringen. Nachdem er mir alle wichtigen und interessanten Sehenswürdigkeiten gezeigt hatte und ich so erschöpft war, dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte (Karl war nach einem halben Tag auf den Beinen immer noch fit), aßen wir gemeinsam in einem typisch amerikanischen Restaurant zu Abend. Dort begann er, mir seine Geschichte zu erzählen. Die Geschichte seines Lebens, eine Geschichte voll von schrecklichen Erlebnissen, aber auch von freudigem Wiedersehen und neuen Chancen. Eine Geschichte, die er mir anvertraute um sie zu bewahren und nicht zu vergessen. Mein letzter Tag in New York war zugleich auch mein schönster. Mit der festen Absicht mit Karl in Kontakt zu bleiben, ihn wenn möglich sogar noch einmal zu treffen, verabschiedete ich mich von ihm.

Abschließend kann ich sagen, dass diese Tage die wertvollsten meines Lebens waren. Ich bin glücklich einen so interessanten, intelligenten und -ich traue mich zu sagen durch seine vielen Erlebnisse auf eine bestimmte Art weisen Menschen -kennen gelernt zu haben. Es macht mich traurig, wenn ich daran denke, dass Karl seine Geschichte irgendwann nicht mehr selbst erzählen kann. Aber ich bin hier, ich habe an diesem Projekt teilgenommen um seine Geschichte weiterleben zu lassen, sie niederzuschreiben und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Als Botschafter der Erinnerung, wie uns Bundespräsident Heinz Fischer nennt, sind wir dafür zuständig seine und die Geschichte vieler anderer, das Schicksal jüdischer Holocaust-Überlebender zu bewahren und weiterzugeben. Diese schrecklichen Ereignisse sind nicht wieder gut zu machen, und obwohl wir keine Schuld mehr daran tragen, ist es unsere Generation, die dafür sorgen muss, dass nichts von alledem vergessen wird. Mit diesem Projekt werden Brücken gebaut, von der Vergangenheit in die Gegenwart bis in die Zukunft.

Benjamin Huber

Die Lebensgeschichte von Karl Stayna


Um die im zweiten Weltkrieg stattgefunden Geschehnisse aufzuarbeiten und zu verarbeiten, haben Österreicher in den letzten 60 Jahren viel beigetragen. Am treffendsten kann man es mit den Worten „Verdrängung“ und „Verleugnung“ beschreiben. Aussagen wie „Juden wurden niemals verfolgt oder vernichtet“ sind keine Seltenheit, das ewige Schweigen von Großeltern und Urgroßeltern ist normal, die Darstellung Österreichs als Opferland ist in den Köpfen der Bevölkerung verankert und die Unwissenheit österreichischer Schüler erschreckend und traurig.

Glücklicherweise trifft das nicht auf alle Österreicher zu, so gibt es auch Menschen die gegen das Vergessen antreten, wie das Projektteam von „A Letter to the Stars“.
Ich bin ein Teil dieses Projekts, und ich bekam die Chance mit einem jüdischen Überlebenden zu sprechen, und seine Lebensgeschichte zu dokumentieren. Sein Name ist Karl Stayna, und das ist seine Geschichte:

Als Ženka und Carl Josef Glücklich, so lautete der eigentliche Familienname Karls, am 1. März 1926 ihr Kind erwarteten, hatten sie wohl nicht den Hauch einer Idee welch schreckliches Schicksal die Zukunft für sie, und tausende von anderen österreichischen Juden, bereithält.
Zwölf Jahre lang waren das Spielen mit seinen Freunden und der Besuchen einer gemeinsamen Schule, eine Selbstverständlichkeit für Karl. Dann, mit dem Anschluss Österreichs und den anschließenden Novemberpogromen wurde das Leben für Juden in Österreich lebensgefährlich.
Klassen wurden aufgeteilt, Kinder die Karl vorher als seine Freunde kannte, beschimpften ihn. Alles begann sich um „jüdisch oder nicht jüdisch“ zu drehen.
Schon lange vor dem Anschluss legte die GESTAPO explodierende Pakete vor Wohnhäusern mit jüdischen Bewohnern, um sie zu töten oder zu verstümmeln.
Ženka und Carl Josef erkannten die Gefahr, und sie schickten ihren Sohn mit einem der ersten Kindertransporte nach England.
Karl erinnert sich noch genau an den Tag an dem er seinen Vater zum letzten Mal sah.
10. Dezember 1938 – eine eiskalte Dezembernacht. Ein voller Bahnhof, hunderte von Eltern, die ihre Kinder von der kommenden Gefahr schützen wollten. Darunter Karl und sein Vater – Gedränge, Chaos, eine letzte Umarmung, und der Zug machte sich auf den Weg in die Niederlande, wo er 24 Stunden später ankam.
In den Niederlanden wurden die 600-800 Kinder, Karl kann sich nicht mehr genau an die Zahl erinnern, empfangen. Und es war ein herzlicher Empfang, wie mir Karl schilderte. Die verängstigten Kinder bekamen zu essen und zu trinken, bevor sie mit der Fähre nach England gebracht wurden.
Dort war der Empfang weniger herzlich, aber die Kinder waren froh, nach dieser anstrengenden Reise endlich angekommen zu sein. Zu diesem Zeitpunkt konnten sie nicht wissen, was sie in England erwartete.
Es war Mitte Dezember, ein kalter schneidender Wind wehte um die Ostküste Englands. Und dort wurden sie untergebracht, in einem Lager das für den Sommer ausgerichtet war.
Die Hütten der Kinder waren nicht beheizt, die Kälte des Winters drang in jeden Raum. Der Speisesaal war der einzige Saal der mehr oder minder beheizt war, und so mussten die Kinder dort schlafen, eng aneinander gedrängt.
Karl war innerhalb von 5 Monaten in 6 verschiedenen Lagern. In einem dieser Lager lernte er Gerd kennen, einen aus Berlin stammenden Jungen, der fortan sein Freund war.
Karl und Gerd hatten das Glück, zusammen zu einer liebevollen Pflegefamilie zu kommen.
Die aus Margate, Kent, stammenden Pflegeeltern hatten das Recht die Kinder jederzeit in ein Lager zurück zuschicken, was sie glücklicherweise nicht taten. Und so hatten Karl und sein Freund das Glück wieder auf eine gute Schule zu gehen, oder mit Karls Worten: „Wir durften auf eine Schule gehen, die nicht wertlos war, wie die Schulen in die die jüdischen Schüler in Wien gesteckt wurden“.
Da die Schule in Ramsgate war, ein Ort in der Nähe von Margate, musste Karl den längeren Schulweg mit dem Zug zurücklegen. Viele, aneinander gedrängte Kinder – jeden Tag auf dem Weg zur Schule erinnerte sich Karl an den Kindertransport in die Niederlande. Ein Schulweg, der jeden Tag eine Herausforderung war.
Nach Ausbruch des zweiten Weltkriegs wurde der Schulweg, und der Aufenthalt in der Schule gefährlich. Oft musste der Unterricht unterbrochen werden um die Schüler in die Luftschutzpunker zu bringen, dort verbrachten sie einige Stunden der Angst und Ungewissheit.
Nach der Zeit in Ramsgate, ging Karl nach Stafford, wo er an einem technischen College studierte und arbeitete. Weiterhin wurde er von seinen Pflegeeltern finanziell unterstützt.

In den Jahren in denen Karl mit seiner Ausbildung beschäftigt war, hatten seine Eltern eine harte Zeit in Wien. Nachdem sie ihren Sohn weg geschickt hatten trennten sie sich, die Mutter ging nach Budapest, wo sie einige Zeit lebte, und der Vater nach Frankreich, wo er Hilfe erwartete. Die erfuhr er jedoch nicht, und so wurde er verhaftet. Karl weiß bis heute nicht was genau mit seinem Vater passiert ist, aber er vermutet dass er in Frankreich ermordet wurde.
Ženka floh nach Jugoslawien, dort ging sie eine Scheinehe mit einem Bekannten ein, um ihren Namen zu ändern. So konnte sie, mit dem neu erworbenen Namen Stayna, leichter nach Italien, in die Schweiz, und später in die USA reisen.

Im Juni 1950, im Alter von 24 Jahren reiste Karl, 5 Tage lang, mit dem Schiff, der Queen Elisabeth, nach New York, wo er seine Mutter zum ersten Mal nach 12 Jahren wieder sah. Ženka gab ihrem Sohn den Rat ihren Namen anzunehmen, um beruflich nicht benachteiligt zu werden. Sie arbeite als Gesangslehrerin für Opernsänger an der Metropolitan Opera, Karl ging zur Armee. Er trainierte 4 Monate lang um in den Koreakrieg zu ziehen, doch die Regierung hatte andere Pläne. Durch sein Studium in Stafford, wurde er nach Washington berufen um dort als Ingenieur zu arbeiten. So hatte er die Möglichkeit jedes Wochenende und wann immer es ihm Möglich war nach New York zu fahren um seine Mutter zu besuchen.
Noch heute arbeitet Karl als Ingenieur.

40 Jahre nachdem Karl Stayna seine Heimat Österreich verlassen musste, kehrte er zurück. Er suchte und fand den Leiter der Pfandfinder, ein Verein, der unter Hitler von der Hitlerjugend verdrängt wurde, dem Karl aber vor seiner Flucht und auch später in England beigehörte.

Bei meinem Gespräch mit Karl verlor er kein böses Wort über Österreich. Ein Herz, nicht erfüllt mit Hass sondern mit Verständnis. Ein Wort das in diesem Zusammenhang schwer zu gebrauchen ist. Was er sagte war, dass er unterscheiden kann zwischen Österreichern und Nazis. Er macht Österreichern keine Vorwürfe die der Partei angehörten um ihre Arbeitsstelle zu behalten oder die Hitler folgten um arbeiten zu können. Karl denk sogar, dass Hitler zusammen mit den Juden den Krieg gewonnen hätte. Eine Aussage die mutig, bewundernswert, aber für mich erschreckend zugleich ist.
Wie kann ein Mensch der soviel Leid erfahren hat, dermaßen gelassen über diese Geschehnisse sprechen? Eine Einstellung vor der ich und viele andere den Hut ziehen.

Und damit kann ich abschließen. Lebensgeschichte will ich es nicht nennen, denn das würde nicht stimmen. Ich will sein ganzes Leben nicht auf die Flucht von Hitler und den Krieg reduzieren. Die Liebe zu seiner Frau und ihr Verlust, die Geburt seiner Kinder, und das Kennen lernen einer neunen Frau, Martha, das alles sind Dinge die ein Leben prägen und ausmachen. Das wäre seine Lebensgeschichte, und die kann ich leider nicht erzählen. Was ich erzählen kann ist, wie er Hitler und seinem Wahnsinn entkommen ist, und das hab ich gemacht.
Ich durfte einen bemerkenswerten Menschen kennen lernen, einen Teil seines Lebens dokumentieren und ihn für die nächsten Generationen erhalten. Denn das ist das wichtigste, wir dürfen den Völkermord, die beinahe Ausrottung der jüdischen Bevölkerung in Europa, nicht in Vergessenheit geraten lassen, dann können wir davon ausgehen, dass sich so etwas Grausames und Schreckliches niemals wiederholt.

Abschließend muss ich noch sagen, dass diese Reise, beinahe schon eine Reise in die Vergangenheit, eine der emotionalsten in meinem Leben war. Nicht nur geprägt von guten Erfahrungen, manche waren schmerzhaft, andere schockierend.
Was ich aus den Gesprächen mitgenommen habe ist, dass man seine eigene Meinung zur Geschichte haben kann und soll. Wichtig ist nur das Geschehene nicht zu verleugnen, oder das Schicksal der Menschen zu schmälern, denn das haben sie nicht verdient.


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