Die letzten Zeugen - Das Buc

JOHANNA TRESCHER


 
 

JOHANNA
TRESCHER

(früher Trescher)
geb. 1933-05-14
lebt heute in den USA


Diese Geschichte wurde im Projekt "Botschafter" erstellt.

  • Lilly Maier, 15, Schülerin am Wiener Lernzentrum W@lz in Wien 14, ist als Botschafterin der Erinnerung in New York
  • der Überlebenden Johanna Trescher, 83, begegnet, die im Alter von fünf Jahren aus Wien vertrieben wurde.

Eine Woche mit Johanna Trescher


Johanna Trescher wurde am 14. Mai 1933 in Wien geboren. Schon 1938 ist sie nach New York ausgewandert, wo sie bis heute lebt. Im April 2007 habe ich sie dort das erste Mal persönlich getroffen – kennen gelernt habe ich sie aber, Schritt für Schritt, schon früher.

Sonntag 1. April, Wien

Mein erstes Telefonat mit Johanna Trescher. Noch etwas schüchtern rufe ich in New York an und hoffe, dass jemand Nettes ans Telefon gehen wird. Ich werde nicht enttäuscht: von Anfang an „empfängt“ mich Frau Trescher auf das Herzlichste. Sie liegt zwar mit Fieber im Bett, aber trotzallem telefonieren wir fast eine halbe Stunde lang. Sie erzählt mir, dass ihre stärkste Kindheitserinnerung an Wien der Stadtpark ist, in dem sie immer mit ihrem Vater spazieren gegangen ist. Und dass sie, als sie 2000 das letzte Mal in Wien war, ihre alte Wohnung in Margareten besucht hat.
Zum Schluß unseres Gespräches versuche ich noch herauszufinden, ob sie sich an irgendeine Wiener Spezialität, wie zum Beispiel die Sachertorte, erinnert, damit ich sie ihr mitbringen kann. In ihrer Antwort zeigt sich ihr ganz spezieller Humor, den ich später noch besser kennen lernen sollte. Fast entrüstet antwortet sie: „Ich war fünf Jahre alt, als ich Wien verließ?. Ich habe mich nicht sehr für Essen interessiert!“

Mittwoch 4. April, Wien

Ich mache mich auf den Weg in die Ramperstorffergasse 17. Johanna Trescher hat mir zwar von ihrem Besuch dort erzählt, aber weil es für sie sehr „emotional“ war, denke ich mir, dass sie sich über Fotos ihrer alten Wohnung sicher sehr freuen wird.
Auf gut Glück läute ich bei Familie R. an und versuche den Grund meines Kommens zu erklären. Doch das ist eigentlich gar nicht nötig: die R.s erinnern sich noch gut an den Besuch von Frau Trescher und haben überhaupt kein Problem damit, dass ich einfach so ihre Wohnung fotografiere. Sie räumen nur schnell ein paar Kinderspielsachen weg und entschuldigen sich für die Unordnung. Und sogar mit einem Foto von ihnen und mir haben sie kein Problem: Frau R. verschwindet nur kurz im Bad um sich zu frisieren und schon habe ich ein Erinnerungsfoto für Frau Trescher!

Sonntag 15. April, New York

Mein erstes Treffen mit Johanna Trescher! Das erste Mal, dass wir uns persönlich gegenüberstehen und von Anfang an, fühle ich mich willkommen. Frau Trescher ist einfach gesagt: die reizendste Dame die ich je kennen gelernt habe! In ihrer Wohnung wimmelt es von süßen Tierbildern, Teddybären (meine alte Pezi-Handpuppe, die ich ihr mitgenommen habe, passt super hinein) und Werkzeug zur Schmuck-Herstellung.
Ganze fünf Stunden, die wie im Flug vergehen, verbringe ich in ihrer Wohnung und hier erzählt sie mir auch ihre Geschichte.

Johanna Trescher wurde am 14. Mai 1933 in Wien, als Hanna Trescher, geboren. Ihre Mutter Camilla (geb. Guttermann) war Jüdin, ihr Vater Franz ein Christ. Kennen gelernt hatten sich Hannas Eltern in der sozialdemokratischen Partei, bei der sie beide Mitglied waren. Im Alter von 26 Jahren hat Camilla Hanna geboren – sie sollte das einzige Kind der Familie bleiben. Camilla Trescher lebte mit ihrer Tochter in der Ramperstorffergasse 17, ihr Ehemann allerdings zeitlebens bei dessen Mutter. Camilla arbeitete als Kindergartenerzieherin, weswegen Hanna auch schon mit zwei Jahren in den Kindergarten kam. Allerdings wurde sie später gefeuert, Johanna Trescher vermutet, dass ihre Mutter wahrscheinlich etwas über oder gegen die Regierung gesagt hatte. Ab diesen Zeitpunkt durfte Hanna auch nur mehr in den Kindergarten gehen, wenn sie von ihrem Vater (der ja Christ war) gebracht wurde.
An ihre Kindheit in Wien hat Johanna Trescher sehr wenige Erinnerungen, allerdings weiß sie noch, dass sie gerne und oft mit ihrem Vater im Stadtpark spazieren ging und dass sie nie eine Puppe, sondern immer nur einen heiß geliebten Teddybären besaß.
Schon 1938 beschloss Camilla Trescher mit ihrer Tochter und ihrem Vater (also Hannas Großvater) nach Amerika auszuwandern. Sie hatte Verwandte in New York, die Geld schickten und die Einreise ermöglichten. Ein Monat vor ihrer Abfahrt wurden sie von der Gestapo aufgefordert ihre Wohnung zu verlassen, aber weil sie schon fix die Abreise geplant hatten, gelang es ihnen noch den letzten Monat in der Ramperstorffergasse zu bleiben.
Am 1. Dezember 1938 war es dann soweit: Hanna, ihre Mutter und ihr Großvater bestiegen den Zug nach Holland. Hannas Vater Franz kam nicht mit. Auch Hannas geliebter Teddybär musste, weil er zu dreckig und alt war, in Wien bleiben. Sie bekam zwar noch vor der Abreise einen neuen (den sie auch immer noch hat), aber trotzdem hätte sie viel lieber ihren alten behalten. Johanna Trescher erinnert sich selber nicht mehr an die Zugreise (nur an den Vater, der mit seinem Taschentuch zur Abreise am Bahnhof gewunken hat), aber ihre Mutter erzählte ihr später, dass gleich bei der ersten Haltestelle Polizisten kamen und die flüchtenden Juden „nett“ auffordeten, ihnen ihr ganzes Geld zu geben, weil alle die bei der nächsten Station noch Geld hätten zurückgeschickt würden. Nur: es hatte ohnehin niemand mehr an Geld, als zur Ausreise bewilligt wurde.
Noch am selben Tag bestiegen Hanna und ihre Familie das Schiff in Holland, das sie nach Amerika bringen sollte. Gezahlt wurde die ganze Reise von dem Amerikaner Harry Parnas, dem Schwiegersohn von Hannas Tante Frieda.
Da das Schiff ein deutsches Schiff war, musste es vor der amerikanischen Küste die deutsche Flagge hissen und die Passagiere fürchteten, deswegen zurückgeschickt zu werden. Zum Glück ging aber alles gut und als das Schiff an der Freiheitsstatue vorbei fuhr, waren alle überglücklich, dass ihre Flucht geglückt war.
Nur Hanna verstand die ganze Aufregung nicht. Einfach weil ihr niemand die ungewohnte Situation (ihre Flucht, der Abschied vom Vater, ...) erklärt hatte. Jahre später entschuldigte sich ihre Mutter dafür- sie dachte, dass sie mit fünf Jahren zu jung gewesen wäre um alles zu verstehen. „Natürlich hätte ich es verstanden!“, meint hingegen Frau Trescher, und so wie ich sie und auch ihre Vergangenheit kennen gelernt habe, bin ich mir ganz sicher, dass sie Recht hat.
Am 17. Dezember 1938 landeten Hanna, ihre Mutter und ihr Großvater am „Lackawanna Terminal“ in New York – endlich waren sie in Sicherheit! Doch einfach sollten die nächsten Jahre für Hanna nicht werden. Gleich zu Beginn wurde die Familie getrennt: Hanna kam bei ihrer Tante Frieda Guttmann unter, ihre Mutter und ihr Großvater bei anderen Verwandten.
Zu ihrem ersten Weihnachten in Amerika bekam Hanna eine wunderschöne, amerikanische Puppe, über die sie sich, aber genauso wie über den neuen Teddy nicht wirklich freuen konnte, weil sie einfach nur IHREN alten Teddy wiederhaben wollte.
Bevor Hanna in New York in den Kindergarten kam, amerikanisierte ihre Tante Frieda ihren Namen: von nun an hieß Hanna Joan. (Erst 1980 hat Frau Trescher ihren Namen zu einer Mischform ändern lassen. Aus Hanna und Joan wurde dann Johanna.) Englisch lernte Joan bei ihrer Tante schnell, dafür vergaß sie gleichzeitig fast alle deutschen Wörter. Allerdings blieb sie nur ein knappes Jahr bei ihrer Tante. Da Frieda schon älter war, kam sie nicht mit dem Kind klar, also kam Joan zu einer Pflegemutter. Dort war Joan aber sehr unglücklich. Ihre Pflegemutter war stark depressiv und sagte immer, dass sie sterben wolle. Also fand Camilla Guttmann, die inzwischen als privates Kindermädchen arbeitete, eine andere Familie für ihre Tochter. Zum Glück: nur ein paar Wochen später stand in der Zeitung, dass sich eben diese Frau mitsamt einem anderen Pflegekind umgebracht hatte!
Auch bei anderen Pflegefamilien ging es Joan sehr schlecht, nur bei einer einzigen ihrer „Stationen“ erwischte sie eine wirklich nette Familie wo es ihr gut ging.
Als Joan 10 Jahre alt war, bekam ihre Mutter eine Arbeit in der Rüstungsindustrie. Endlich konnte sie in eine eigene Wohnung nach New Jersey ziehen und ihre Familie zu sich holen. In den fünf Jahren in denen sie getrennt gewesen waren hatte der Großvater Eis und Süßigkeiten auf der Straße verkauft und Joan hatte vier verschiedene Volksschulen besucht!
Jetzt begannen für Joan die besten Jahre ihres Lebens! Sie besuchte eine Highschool für Musik und Kunst und traf ihre Jugendliebe Regie. Mit 18 machte sie ihren Abschluss. Bald darauf heiratete ihre Mutter wieder und zog aus der gemeinsamen Wohnung aus. Auch ihr Vater in Wien hatte wieder geheiratet und schon 1944 eine weitere Tochter bekommen. Mischi Steinbrück (geb. Trescher) lebte heute als Sängerin und Kaberettistin in Deutschland und steht in engem Kontakt zu ihrer Halbschwester.
Bald darauf zog Joans Großvater zu seinem Sohn nach Spanien, weil „es nicht gut für ein 19-jähriges Mädchen ist, für einen alten Mann zu sorgen“ (O-Ton Johanna Trescher).
Für rund fünf Jahre arbeitete Joan als fashion-model in einem Kleidergeschäft, später wurde sie Sekretärin.

Johanna Trescher hat nie geheiratet, war aber zwei Mal verlobt. 1991 besuchte sie für ein paar Jahre eine Modeschule und kam so dazu, selber Modeschmuck herzustellen. Ihre Arbeiten sind wirklich wunderschön und ich bin sehr stolz, jetzt auch ein paar ihrer Ohrringe zu besitzen. Außerdem war sie jahrelang eine aktive Tierschützerin und hat unter anderem gegen Pelzgeschäfte demonstriert. Bei Johanna, der so überzeugten Vegetarierin bekomme ich auch das einzige „gemüsehaltige“ Essen in meiner ganzen NY-Woche, das wirklich ausgezeichnet schmeckt. Nachdem sie mir ihre ganze Wohnung und ihren 70 (!) Jahre alten Teddybären gezeigt hat, schauen wir uns noch zusammen, dass Spielberg-Interview ihrer (inzwischen verstorbenen) Mutter an. Ihre Mutter machte dieses Interview, „damit andere wissen wie es war“ und gab uns in diesem Interview noch ihr Lebensmotto mit auf den Weg: „Live without worry.“

Montag 16. April, New York

Am nächsten Tag treffen Frau Trescher und ich uns im „Museum of Jewish Heritage – A Living Memorial“, einem Museum dass die jüdische Geschichte und den Holocaust behandelt. Ich habe ihr am Sonntag von dem Museum erzählt und weil sie sich noch nie „getraut“ hatte es anzusehen, bot ich ihr an, gemeinsam hinzugehen. Sie nahm dankend an, auch weil ich ihr dank meines früheren Besuchs sagen kann, welche Teile sie sich besser nicht anschauen sollte.
Trotz sintflutartigem Regen macht sich Johanna Trescher auf den Weg und ich bin sehr froh, dass ich sie so noch ein Mal sehen kann. Gemeinsam verbringen wir sehr schöne Stunden in dem Museum, wir besichtigen allerdings nur den Teil über die jüdische Geschichte.
Anschließend nehmen wir kurz entschlossen noch an der YomHaShoah Gedenkfeier im Museum teil. YomHaShoah ist der wichtigste Holocaust Remembrance Day für Juden. Diese Feier im Museum of Jewish Heritage war berührend schön.
Leider ist der Tag dann auch schon vorbei und nun heißt es endgültig Abschied nehmen. Ich bin mir sicher, dass es für uns beide ein unglaublich schönes Treffen war und ich bin wirklich traurig, dass wir schon wieder zurückfliegen. Zum Glück gibt es ja aber das Telefon und Frau Trescher plant auch in den nächsten Jahren ein Mal nach Wien zu kommen.

22. April, Wien

Gerade eine Woche bin ich wieder in Wien und eigentlich habe ich noch nicht einmal richtig Zeit gefunden um über alles nachzudenken, da bekomme ich schon einen Brief von Frau Trescher. „Liebe Lilly! Es war eine große Freude dich letztes Wochenende zu treffen. Ich genoss die Zeit die wir zusammen verbrachten sehr und sie brachte viele Erinnerungen zu mir zurück. […] Danke für alle die wunderbaren Geschenke, die du mir gebracht hast. Das größte Geschenk von allen war eine Verbindung zu meiner Vergangenheit, zu meinem heritage. Sogar die traurigen Momente waren eine Erinnerung daran, wer ich bin.
Das Wetter hier ist großartig. Ich hoffe, es ist das selbe in Wien. Alles Liebe, Johanna Trescher.


Der folgende Bericht von Lilly Maier ist im KURIER vom 30. April 2007 erschienen.

Berührende Begegnung in New York

Kurt Goldberger ist im August 1925 in Wien geboren. Er war 14 Jahre alt, als er Juli 1939 mit einem Kindertransport nach England kam. Seine Eltern haben beide überlebt.
Johanna Trescher wurde im Mai 1933 als Hanna Trescher in Wien geboren. Schon fünf Jahre später verließ sie Österreich für immer. Ihre Mutter und ihr Großvater kamen mit, ihr Vater (ein Nichtjude) blieb in Wien.
Heute leben sie beide in Amerika und dort habe ich sie auch kennen gelernt.
Vom 10.-17. April war ich im Zuge des Projektes „A Letter To The Stars - Botschafter der Erinnerung“ in New York und hatte dort die Möglichkeit und die Ehre, Holocaust-Überlebende zu treffen, mit ihnen zu reden und mir von ihnen ihre Lebensgeschichten erzählen zu lassen.
Anfangs haben sie mir noch einfach Fakten erzählt: wo sie gewohnt haben, wo sie zur Schule gegangen sind, wie sie aus Österreich geflüchtet sind. Ziemlich schnell wurden die Gespräche aber viel persönlicher und sie haben angefangen, wirklich
„Geschichten“ zu erzählen. Ganz einfach weil ein Leben aus viel mehr, als nur aus Daten und Adressen besteht.
Eigentlich müsste ich also so anfangen: Kurt Goldberger ist im August 1925 in Wien geboren. Seine Lieblingsbeschäftigung war es, (verbotenerweise) am Kai Fußball zu spielen.
Johanna Trescher wurde im Mai 1933 in der Nähe des Stadtparks geboren. Ihr Lieblingsspielzeug war ein Teddybär, den sie, weil er so alt und dreckig war, in Wien zurücklassen musste. Sie hat zwar noch in Wien einen neuen Teddy und später in New York sogar eine richtige amerikanische Puppe bekommen, aber sie konnte sich nicht wirklich darüber freuen, weil sie einfach nur ihren alten Teddy haben wollte. Ich habe richtig gemerkt, wie wichtig ihr das damals (und auch noch heute) ist und ich bin sehr froh, dass ich sie treffen konnte und sie mir
das alles erzählt hat. Sie hat mir auch gleich den „neuen“ Teddy gezeigt, den sie trotz allem seit 70 Jahren aufgehoben hat.
Eine andere berührende Geschichte von Frau Trescher ist die Ankunft der Gruppe von österreichischen Juden mit dem Schiff in Amerika. Als sie die Freiheitsstatue sahen, waren alle ganz aufgeregt und freuten sich, dass die Reise endlich vorbei war und sie in Sicherheit waren. Nur die damals fünfjährige HannaTrescher verstand die ganze Aufregung nicht. Einfach, weil ihr niemand die ungewohnte Situation (die Flucht, der Abschied vom Vater, ...) erklärt hatte. Jahre später entschuldigte sich ihre Mutter dafür- sie dachte, dass sie mit fünf Jahren
zu jung gewesen wäre um alles zu verstehen. „Natürlich hätte ich es verstanden!“, meint hingegen Frau Trescher, und so wie ich sie und auch ihre Vergangenheit kennen gelernt habe, bin ich mir ganz sicher, dass sie Recht hat.
Auch von Kurt Goldberger, meinem anderen Kontakt, habe ich mehr erfahren als nur bloße Daten: zum Beispiel, dass seine Mutter eine
„Apfel-Strudel-Spezialistin“ war oder dass er seine Frau Margarete in einem jüdischen Jugendklub in New York kennen und lieben gelernt hat. Ganze 80 bis 90 Ehen sollen übrigens aus dem „Fellowship Club“ in New York hervorgegangen sein.
Eine andere wundervolle Begegnung hatte ich mit jüdischen Überlebenden aus Österreich, die von der Organisation „Selfhelp“ betreut werden. „Selfhelp“ bietet verschiedene Programme an und unter anderem organisiert sie das „Wiener Kaffeehaus“, einen Kaffee und Kuchen-Nachmittag wo Wiener Musik gespielt wird. Gleich an unserem ersten Tag in New York nahmen wir mit rund 50 Überlebenden an so einer Kaffeehausrunde teil. Was mich persönlich dort am meisten beeindruckt hat, war, dass sich viele der ehemaligen Österreicher noch so gut an alles erinnern konnten. Sie fragten uns sofort über alle möglichen Plätze aus oder welche „richtigen“ Kaffeehäuser aus der Vorkriegszeit noch existieren. Und sie kannten sich teilweise sogar besser in Wien aus als ich! Noch genauer erinnerten sie sich aber an die Wiener Musik, wirklich jede und jeder mit dem ich gesprochen habe, konnte mir sagen, welches Lied gerade gespielt wurde und von wem es stammt. Sie fingen sogar an die Lieder zu singen, obwohl die Musiker dort nur die Musik (ohne Gesang) spielten! Gegen Ende habe ich sogar mit meinem Tischnachbarn, einem ehemaligen Frankfurter, Walzer getanzt - und als ich mich von ihm verabschiedete und ihn (auf die Wange) küsste, sagte er ganz gerührt zu mir: „I´ve got an Austrian kiss! I´ll never forget this moment.“
Und genau wie er bin ich mir ganz sicher, dass ich diesen Moment, diese ganze Reise, nie vergessen werde. Ich habe in der Woche zwar nicht viel von New York gesehen, aber ich finde das überhaupt nicht schlimm. Viel wichtiger waren für mich die Gespräche, die ich mit vielen Holocaust-Überlebenden geführt habe, die Geschichten die sie mir erzählt haben. Am Ende des „Wiener Kaffeehauses“ sagte eine der Organisatorinnen zu mir: „Es ist das erste Mal, dass keiner gehen will und ich mache das jetzt schon seit so vielen Jahren“.
Ich wollte auch nicht gehen.

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