Die letzten Zeugen - Das Buc

ILSE PASCHKUSZ


 
 

ILSE PASCHKUSZ

geb. 1921-07-22


Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Ilse Paschkusz wurde am 22.Juli 1921 in Wien geboren. Sie bekam mit 17 einen Job als Aupair-Mädchen in Schottland. Ihre Eltern konnten in die Vereinigten Staaten fliehen. Ilse konnte noch während des Krieges ihren Eltern in die USA nachfolgen, wo sie heute noch lebt.

Der Anfang in Amerika war sehr schwer...

Auf der Suche nach früheren Mitschülerinnen der Überlebenden Felice Mathur stieß Judith Ladenstein u.a. auf Ilse Paschkusz. Schulfreundinnen, die sich 1938 aus den Augen verloren hatten, fanden sich nun im Zuge des Projekts wieder.

Ilse Paschkusz wurde am 22. Juli 1921 geboren. Ihre Eltern waren beide jüdisch. Ilse ging Samstags immer mit ihren Freundinnen in den jüdischen Jugendgottesdienst. Ihr Vater war sehr gläubig. Der Vater hatte ein Import-/Exportgeschäft und die Mutter führte eine Bridgestube in einem Kaffeehaus. Ilse hatte ein Fräulein, das auf sie aufpasste. Mit ihr ging sie jeden Tag in den Burggarten Ball spielen, Eis laufen und in die Tanzschule. Sie hatte Klavierstunden und lernte Französisch. „Ich bin keine Pianistin geworden. Meine Mutter war sehr gut darin!“ Es war ganz selbstverständlich, dass die Eltern kaum zu Hause waren. Sie aßen immer zusammen Mittag. Der Vater kam immer nach Hause und dann legte er sich für eine halbe Stunde hin und dann ging er wieder zurück ins Büro.
Vor dem Anschluss hatten sie nichts vom Judenhass gemerkt. Aber sofort nach dem Anschluss war es sehr erschreckend. Sie mussten immer früh im Haus sein. Wenn man erwischt wurde, dann musste man ins Gefängnis. Aber auch die Eltern der Hitlerjugend mussten sich sehr in Acht nehmen, denn die Kinder zeigten ihre eigenen Eltern an, wenn diese gegen das neue Regime waren.
Sie besuchte das Realgymnasium in der Rahlgasse. Gemeinsam mit Felice Spiegel. Eine ihrer Schulkolleginnen lebte dann später im gleichen Ort in Amerika und sie gingen gemeinsam zum Nachmittagstanz. Leider verstarb sie schon sehr früh an Krebs.
Ihre beste Freundin war nicht jüdisch. Am Tag nach dem Anschluss war sie in Uniform und schaute Ilse nicht mehr an. „Meine beste Freundin war in Uniform und das hat sehr weh getan!“
Als sie in die Schule kamen, setzten sich alle jüdischen Kinder zusammen. Alle hatten Angst und fühlten sich zusammen sicherer. Die jüdischen Schülerinnen hatten nur noch Kontakt zu jüdischen Kindern, die nichtjüdischen hatten Angst auch nur mit ihnen zu sprechen. Sie hört jetzt noch die Lehrerin sagen: „Ich sehe, ihr habt euch den richtigen Sitzplan gemacht.“
Danach ging Ilse nicht mehr zur Schule. Ihr Vater wurde von der Polizei abgeführt und sie mussten ihre Wohnung verlassen und bei einer Nachbarin einziehen. Das war in der Kristallnacht. Nach zwei Tagen wurde der Vater wieder nach Hause geschickt und sie konnten wieder
in ihre Wohnung. Die Eltern hatten viele Freunde. Aber keiner wollte oder konnte ihnen helfen. Jeder musste sich selber helfen, so gut er konnte. Ihre Mutter gab eine Anzeige in eine schottische Zeitung und sie bekamen eine Antwort für ein Aupair-Mädchen. So konnte Ilse wegfahren. Sie sieht heute noch ihre Eltern am Bahnhof stehen und ihr zuwinken. Wie schwer musste es sein, das einzige Kind wegzuschicken. Sie war 17.
Zuerst fuhr sie nach London und dann nach Glasgow in Schottland. Die Leute hatten ein Haus in einer Vorstadt. Sie hatten Zwillinge, auf die Ilse aufpassen musste. Die Windeln wurden mit der Hand gewaschen und draußen aufgehängt. Im Winter war das etwas kalt. Dann arbeitete sie in einer Strickfabrik. Aber weiterhin versorgte sie die Zwillinge und arbeitete im Haus, so konnte sie auch dort wohnen. Als die Eltern ihr die Papiere schickten, halfen sie Ilse, um nach Amerika zu kommen. Insgesamt war Ilse eineinhalb Jahre in Schottland.
Ihr Onkel starb auf dem Weg ins KZ, da er zuckerkrank war und den Marsch nicht durchhalten konnte. Ihre Tante, die Schwester ihrer
Mutter, beging Selbstmord, bevor sie sie verschleppen konnten. Die Großmutter und eine weitere Tante und deren Mann wurden ermordet.
Ihre Eltern waren die einzig „Glücklichen“. Sie versuchten, nachdem sie in Amerika waren, allen zu helfen, aber leider ohne Erfolg.
Ein reicher Geschäftsmann gab eine beeidigte Erklärung für die Eltern ab, aber sie mussten ihm versprechen, ihm nicht zur Last zu fallen.
Nun konnten sie Ilse Papiere schicken und sie kam mit dem letzten Schiff während des Krieges nach New York.
Der Anfang in Amerika war sehr schwer. Der Vater war nicht gesund und konnte nicht arbeiten, aber die Mutter war sehr tüchtig und fand einen Posten in einem Kleidergeschäft als Schneiderin und Ilse arbeitete als Modistin für Hüte. Sie lernte ihren Mann bei einem Nachmittagstanz kennen und sie sind jetzt 61 Jahre verheiratet. Sie haben zwei Kinder und fünf Enkelkinder.
„Wien ist eine schöne Stadt, aber wenn man einmal mit Gewalt herausgeschoben wurde, dann kann man nicht mehr dort leben.“
„Die meisten Freunde hier haben dieselbe Vergangenheit wie wir. Manche kamen aus dem Konzentrationslager, haben die ganze
Familie verloren und mussten wieder ein neues Leben beginnen. Wieder heiraten, wieder arbeiten, wieder Kinder bekommen. Die sind
auch die GLÜCKLICHEN. Diejenigen, die nicht zurückgekommen sind, die sind zu bedauern."
Ihr Mann ist auch jüdisch. Sie feiern alle Feiertage und haben die Kinder auch im jüdischen Glauben erzogen.

Judith Ladenstein, 2005

Judith Ladenstein ist die Mutter von Anna Ladenstein, die als Schülerin am Projekt „A Letter To The Stars“ teilgenommen hat.
Auf der Suche nach früheren Mitschülerinnen der Überlebenden Felice Mathur (ebenfalls unter "Die Letzten Zeugen") stieß Judith Ladenstein u. a. auf Ilse Paschkusz und Inge Blühdorn, Schulfreundinnen, die sich 1938, vor nunmehr 67 Jahren, aus den Augen verloren hatten. Im Zuge des Projekts haben sie sich wiedergefunden.

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