OE1-Beitrag

Das Geschichte-Loch im Purkersdorfer Sanatorium

Bis vor wenigen Jahren hat der Geschichte-Unterricht an österreichischen Schulen etwa so ausgesehen: Fakten, Daten, Hintergründe bis 1938 und ab 1945. Dazwischen war ein Loch, tief genug, um alle Fragen, die in seine Nähe kamen, unbeantwortet darin verschwinden zu lassen. Aber ganz genau hat sich sowieso keiner fragen getraut. Heute ist das Loch sehr viel kleiner, eine sanfte Mulde vielleicht, Restmülldeponie der Geschichte. Jetzt wird zwar mehr gefragt, die Antworten, die zurückkommen, sind aber oft undeutlich und hören sich an wie "Schwere Zeit, nichts gewusst, halb so schlimm...". Das gilt natürlich auch für Purkersdorf. Dort steht ein ehemaliges Sanatorium, Leitfossil des Jugendstils. 1904/1905 gebaut vom bekannten Architekten und Gestalter Josef Hoffmann war es bis zur Weltwirtschaftskrise 1929 ein Treffpunkt der internationalen Hautevolée. In der Kuranstalt des Victor Zuckerkandl, eines jüdisch-deutschen Industriellen, gaben sich Geldadel und Intelligenz der Zeit die Klinke in die Hand. Mahler, Hoffmannsthal, Schönberg und Schnitzler waren hier ebenso zu Gast wie Maharadschas und Dollarmillionäre. Nach dem Tod Zuckerkandls 1927 übernahmen drei Nichten und ein Neffe das Haus. Den Betrieb führte ab 1930 der Schwiegersohn eines Bruders von Victor Zuckerkandl, Paul Stiassny, weiter, war dabei aber kaufmännisch mäßig erfolgreich.

Erst relativ kurz vor dem Anschluss Österreichs an Deutschland im März 1938 versuchte eine Schwiegertochter eines anderen Zuckerkandl-Bruders, Trude Zuckerkandl, den maroden Betrieb zu sanieren. Der finanziellen Gesundung kam der Einmarsch der deutschen Truppen zuvor. Einige Tage nach dem Anschluss wurde das Sanatorium von den neuen Machthabern unter kommissarische Verwaltung gestellt. Miteigentümerin Amalie Redlich und ihre Tochter, die auf dem Gelände wohnten, wurden in eine Waschküche verbannt, ihre Wohnungseinrichtung geplündert. Ende 1939 verschwanden die beiden im KZ. Die Schwester Redlichs, Nora Stiassny, auch sie Miteigentümerin des Kurhauses, musste unter dem Applaus der Nachbarn mit ihrer Mutter gemeinsam den Gehsteig mit der Zahnbürste reinigen, während aus ihrem Haus Arbeiten von Kolo Moser und Josef Hoffmann gestohlen wurden. Später kamen auch diese beiden Frauen in der Nazi-Vernichtungsmaschinerie um. Eigentümerin Nummer Drei, Hermine Müller-Hofmann und Schwester der beiden anderen, überlebte, weil sie gegen Geld eine Bescheinigung erhielt, derzufolge sie keine Jüdin war, sondern ein "Mischling". Nach der Aufgabe ihrer Ansprüche auf das Sanatorium flüchtete sie unter falschem Namen nach Deutschland.

Der vierte Eigentümer, ihr Cousin Fritz Zuckerkandl, Sohn der berühmten Journalistin Berta Zuckerkandl, war bereits 1934 nach Paris gezogen und hatte einen weitschichtigen Verwandten, Hans Stephenson, mit einer Generalvollmacht für alle Geschäfte ausgestattet, die das Sanatorium betrafen. Fritz Zuckerkandl überlebte die NS-Herrschaft im algerischen Exil.

Am 20. März 1938 wird also die Anstalt unter die kommissarische Verwaltung des ehemaligen Beamten Rudolf Bauer gestellt. Bauer beabsichtigt, nachdem er als ersten Schritt alle jüdischen Ärzte entlässt, sich das Sanatorium selbst anzueignen. Im Dezember des selben Jahres scheitert ein Versuch zweier Anstaltsärzte, das Haus gemeinsam mit einem SS-Mann zu erwerben.

Erst ein Jahr nach dem Anschluss, im März 1939, wird die Vermögensverkehrsstelle ins Leben gerufen, ein Amt, das der Veräußerung jüdischen Eigentums den Deckmantel der Legalität verleihen soll. Nach der Abberufung Bauers als Verwalter wird der Sanatoriums-Primararzt und Parteigenosse Franz Neuhauser als Treuhänder eingesetzt. Neuhauser unterzeichnet am 25. August 1939 im Namen der vier Eigentümer einen Kaufvertrag mit der Österreichischen Kontrollbank, die als staatliche Zwischenstation für die Arisierung dient. Schätzgutachten haben, wie bei Arisierungen üblich, bewirkt, dass der Punkt 4 des Kaufvertrags lautet: "Im Hinblick auf die Verschuldung der Kaufgegenstände erhalten die Verkäufer keinen Kaufpreis."

Am selben Tag kauft ein Schilderfabrikant aus dem 7. Wiener Gemeindebezirk, Hans Gnad, der Kontrollbank das Objekt um nur 3.770.- Reichsmark ab. Gnad, der bereits in der Verbotszeit ab 1932 nationalsozialistisch aktiv war, will das Purkersdorfer Sanatorium seinem gleichnamigen Sohn, auch ein aktiver Parteigenosse und Medizinstudent, nach dessen Promotion übergeben. Obwohl die beiden Gnads stramme Parteigänger waren, bot ihre Anstalt doch einigen politisch "Unzuverlässigen" und sogar jüdischen Patienten Unterschlupf und Schutz vor Verfolgung. Dafür setzte sich der zeitweilige Chefarzt Kurt Braun ein, der selbst kein Sympathisant des Regimes war.

Nach dem Krieg versuchten die überlebenden Eigentümer Fritz Zuckerkandl und Hermine Müller-Hofmann für ihre Familie zu retten, was noch zu retten war. Viel war nicht geblieben. Das Gebäude war ab 1941 als Kriegslazarett verwendet worden, die Einrichtung zerstört oder geplündert. Der Sohn von Fritz, Emile, bekam wenige Bilder aus der umfangreichen Kunstsammlung seiner Familie, darunter einen Klimt, den er später für wenig Geld an den Sammler Rudolf Leopold verkaufte.

Am 12.9.1947 wird im Grundbuch von Purkersdorf die Bestellung eines öffentlichen Verwalters für das Sanatorium angemerkt, am 18.2.1948 wird das Rückstellungsverfahren eingeleitet. Das Verfahren endet im Juli 1952 mit einem Vergleich. Nachdem am 18. Oktober des Jahres knapp die Hälfte der Liegenschaft an Gnads Frau Irma überschrieben worden war, erhielten Zuckerkandl, Müller-Hofmann und Georg Jorisch vier Tage später das Sanatorium zu je einem Drittel zurück.

Vier Monate danach, im Februar 1953, kaufte es der Evangelische Verein für innere Mission und betrieb die Anstalt bis 1984 als Krankenhaus und Pflegeheim. Nach den Aussagen der Familie Zuckerkandl haben sich auch die Purkersdorfer an der Plünderung der wertvollen Inneneinrichtung eifrig beteiligt.

Heute, im Jahr 2003, ist die Anstalt nach einer Außenrenovierung ein Schmuckstück. Das Innere freilich zeugt von Verfall, ist morbide Kulisse. Über eine Nutzung durch die Stadtgemeinde und Museen wird nachgedacht. Das Anwesen selbst ist, nach einer Filettierung des Sanatoriums und des umliegenden Parks, viel Geld wert. Geld, das den ursprünglichen Eigentümern geraubt wurde. Der lange Atem der Vergangenheit weht immer noch durch den Hoffmann-Bau. Und die Mär vom rechtmäßigen Verkauf, die gerne erzählt wird, entpuppt sich nach einem Blick in die Annalen als Geschichtslüge einer Gemeinde, in deren Archiv die Jahre von 1938 bis 1945 einfach fehlen. Keine sanfte Mulde, sondern ein tiefes Loch.


Protokoll zur Recherche über Amalie Redlich: Ich erhielt von Frau Prof. Finz eine Zettel mit folgenden Informationen: Sie wurde geb. am 18.4.1868 und lebte zuletzt in Purkersdorf, Wienerstr.33. Am 23.10.1941 wurde sie nach Litzmannstadt deportiert - Ghettoadresse: Blattbindestrasse 13/5 1.4.2003. Als nächstes begab ich mich auf Internetsuche: · www.google.at Eingabe "amalie redlich" - daraufhin folgte diese Angabe · www.jewishgen.org/bohmor/towns/Austria/StockCem.html BOH- emia - MOR- avia Pecial I nterest G roup S ... Jüdischer Kirchhof Stockerau (Niederösterreich) Beigetragen durch Wolfgang Stadler. Weiter unten ist eine kleine Datenbank betreffend den jüdischen Kirchhof von Stockerau, eine kleine Stadt ca. 20 km nordwestlich von Wien auf der Straße zu Hollabrunn. Dieser Kirchhof besteht noch - er wurde nicht zerstört. Einige Grabsteine wurden beschädigt oder sogar zerstört. Auf vielen Grabsteinen ist die Inschrift kaum zu lesen, manche Inschrift ist hebräisch, einige Grabsteine sind umgestürzt. Der Kirchhof ist am "Schiesstaettring", gegenüber ist der christliche. Die Tür war verschlossen, aber die Wand auf der Rückseite ist so niedrig oder teils gar nicht vorhanden, man kann eigentlich frei zugehen.

Weiters finde ich im Internet: Amalie Redlich geb: Lechner verstorben am 27/02/1934 mit 79Jahren, begraben mit Simon Redlich in Stockerau. Simon Redlich verstorben am 16/07/1920 mit 68 Jahren www.avotaynu.com/HolocaustList/r2.htm · Geboren am 28.4.1868 www.purkersdorf-online.at/kultur/sanatorium/arisierung.php3 ·

Ergebnis am Ende des Protokolls am 5.4.2003: Erfolglose Suche nach weiteren Daten über Otto Zuckerkandl (Besitzer Kuranstalt Purkersdorf - heutiges Sanatorium) und Hermine Müller-Hofmann (Schwester), Nora Stiassny (Schwester), Fritz Zuckerkandl (Cousin).

7.4.2003 Besuch im Gemeindeamt Purkersdorf: Die Angestellte erzählte uns folgendes: Die Meldezettel gibt es erst vollständig ab ungefähr 1945, vorher gibt es nur vereinzelt Meldezettel. Von 1868 gibt es nur sehr wenige. Leider auch keinen von Amalie Redlich . 10.4.2003 www.lettertothestars.at-Informationen: geb. am 18.4.1868!!! Wohnadresse unbekannt, Deportation von Wien nach Litzmannstadt am 23.10.1941, Sterbedatum unbekannt.

21.4.2003 Suche über www.google.at Eingabe: Fritz Zuckerkandl www.sbg.ac.at/lwn/frei/generated/a69.html · Lexikon Artikel über Fritz Zuckerkandls Mutter. Es wurde erwähnt, dass Fritz Zuckerkandl im Jahr 1895 geboren wurde.

Dieser Brief stieg im Mai 2003 in den Himmel

Liebe Amalie Redlich! Ich habe einiges über dich heraus gefunden: Ich weiß, dass du am 18.04.1868 geboren wurdest und du hast zuletzt in der Wienerstraße 33 in Purkersdorf gewohnt. Am 23.10.1941 wurdest du nach Litzmannstadt deportiert. Du warst eine der Miteigentümer der Kuranstalt in Purkersdorf von Victor Zuckerkandl. Du und deine Tochter starben im Konzentrationslager. Deine Schwester Nora Stiassny, sie war auch Miteigentümerin der Kuranstalt, musste mit ihrer Mutter den Gehsteig putzen unter dem Applaus der Nachbarn. Die beiden kamen in der Nazi- Vernichtungsmaschinerie um. Die Schwester von euch beiden, Hermine Müller- Hofmann, überlebte, weil sie erhielt gegen Geld eine Bescheinigung, in der stand, dass sie keine Jüdin war, sondern ein „Mischling“. Sie flüchtete unter Falschem Namen nach Deutschland. Dein Cousin Fritz Zuckerkandl wurde 1895 als Sohn der berühmten Journalistin Berta Zuckerkandl, geboren. Fritz überlebte die NS- Herrschaft im algerischen Exil. Ich habe auf verschiedenen Internetseite nach Informationen über dich gesucht. Doch leider stimmen diese Informationen nicht mit den anderen überein: Auf der einen Internetseite stand, dass dein Mädchenname Lechner war. Du starbst am 27.02.1934. Du wurdest im jüdischen Kirchhof in Stockerau mit Simon Redlich begraben. Simon starb am 16.07.1920. Einer anderen Seite zufolge, wurdest du am 28.04 und nicht am 18.04.1868 geboren. Mir hat dieses Projekt recht gut gefallen, denn man bemerkt, wie schwer es ist, Informationen über jemanden zu bekommen. Ich finde es auch wichtig, dass man etwas über diese Zeit lernt, denn man sieht, wie schlecht die Menschen früher behandelt wurden, wenn sie nicht die gleiche Religion hatten, die der Führer vorschrieb. Liebe Grüße von Kathrin Pernold